Wirtschaftswissenschaft - Wissenschaft oder Glauben?

Fortsetzung der Diskussion von Freiheit: Floskel des Jahres - können wir sie mit neuem Inhalt füllen?:

Doch genau das können sie. Der perfekte Markt ist selbst ein mathematisches Modell, und nur das. Dieses Modell kann man sicher hervorragend mit mathematischen Modellen beschreiben, und man kann sicher hervorragend mathematisch verstehen, was in so einem perfekten Markt passieren würde, wenn es ihn denn gäbe.

Genau das ist das Problem: Diese mathematischen Modelle sind vermutlich absolut korrekt (ok, das übersteigt mein mathematisches Können, aber nehmen wir mal an, dass die Mathematik korrekt ist). Mathematik ist übrigens keine Naturwissenschaft. Sie ist komplett abstrakt, sie kann mühelos mit mehrdimensionalen Räumen und anderen Absurditäten umgehen und korrekte, beweisbare Ergebnisse liefern. Eine vollkommen andere Frage ist es, ob diese Ergebnisse irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun haben, sprich, ob sich daraus aussagekräftige wissenschaftliche Ergebnisse ableiten lassen.

So weit ich das sehe rechnen die Wirtschaftswissenschaftler durchaus richtig, bauen richtige Modelle und sind offenbar mächtig stolz auf ihre mathematischen Modelle (ok, ein Kommilitone meiner Tochter, der Wirtschaft studiert hat und jetzt Mathe studiert fand diese wirtschaftliche Mathematik nicht arg beeindruckend). Das Problem ist, dass sie diesen Modellen mehr Wahrheitsgehalt zuschreiben als der Wirklichkeit. Lassen sich die Vorhersagen nicht empirisch belegen muss etwas an der Wirklichkeit nicht stimmen…

Das ist natürlich keine Wissenschaft sondern Religion. Im übrigen arbeiten auch Ökonomen, die diese Modelle und diesen Glauben sehr, sehr kritisch sehen („heterodoxe“) gerne mit Mathematik. Nur eben eher mit Statistik, also einem Zweig der Mathematik, der geeignet ist, die Wirklichkeit zu beschreiben und zu interpretieren (und mit dem nicht wenige Mathematiker gar nicht warm werden).

Varoufakis zählt im übrigen auch zu den heterodoxen Ökonomen (selbst Keynes, Stiglitz, Krugman werden oft dazugezählt) und kommt mit seinen Ansätzen der Wirklichkeit so weit ich beurteilen kann sehr viel näher als seine Mainstream-Kollegen.

Der Ginikoeffizient beschreibt nur das Ergebnis. Er ist eine statistische Größe. Da es einen perfekten Markt nur im Modell gibt kann man natürlich den Output des Modells damit beurteilen, aber ein perfekter Markt ergibt sich eben aus den Modellparametern, nicht dem Ergebnis. Aber um klar zu machen, was er bedeutet: Er bewegt sich zwischen 0 und 1. Bei 1 hätte ein Einzelner Alles. Wenn das Modell ergibt, dass er gegen 1 konvergiert heißt das, dass das Modell voraussagt dass das Vermögen unter den gewählten Parametern (=dem neoklassischen Ideal des perfekten Marktes) immer stärker konzentriert. Wenn das so stimmt wäre also selbst das weltfremde Ideal des perfekten Marktes, der den bestmöglichen Output für die Gesellschaft erbringt widerlegt, aus sich selbst heraus, nicht aus der Wirklichkeit.

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Und bei dem Ginikoeffizienten 0 hätten alle alles oder alle nichts?

Bei 0 wäre dann alles genau gleich verteilt. Beide Extremwerte (1 und 0) sind natürlich reine Gedankenspiele, in der Realität wird sich der Wert diesen Extremen maximal annähern.

Für alle Interessierten:
hier ein Link zur Erklärung des Gini-Koeffizienten: Gini-Koeffizient • VWL Basiswissen für Nicht-Ökonom_innen • Lateinamerika-Institut (LAI)

Aus dem Inhalt:
Für unsere Analyse ist nun der Abstand zwischen der Lorenzkurve und der „45 Grad Linie“ interessant, also um wie viel die beobachtete Einkommensverteilung von der Gleichverteilung abweicht. Hierzu berechnet man den Prozentsatz des Anteils der Fläche zwischen der „45 Grad Linie“ und der Lorenzkurve an der Gesamtfläche. Das Ergebnis dieser Berechnung wird entweder als Gini-Koeffizient dargestellt (einem Wert zwischen 0 und 1) oder als Gini-Index (indem man den Gini-Koeffizienten mit 100 multipliziert.).

Dabei bedeutet der Wert 0, dass es totale Gleichheit in der Einkommensverteilung gibt (die Lorenzkurve entspricht in diesem Fall der „45 Grad Linie“, die Fläche zwischen den Linien ist somit Null); der Wert 1 (Gini-Koeffizient) oder 100 (Gini-Index) bringt wiederum zum Ausdruck, dass nur einem Individuum das gesamte Einkommen der Volkswirtschaft zukommt und dass das Einkommen der anderen somit Null ist (die Lorenzkurve entspricht in diesem Fall der „Linie der totalen Ungleichheit“, die Fläche zwischen der „45 Grad Linie“ und der Lorenzkurve beträgt 1). D.h., je näher der Wert an 0 ist, desto gleicher ist die Verteilung des Einkommens. Im Allgemeinen werden Länder mit einem Gini-Koeffizienten zwischen 0,50 und 0,70 (Gini-Index zwischen 50 und 70) als sehr einkommensungleich, und die mit einem Gini-Koeffizienten zwischen 0,20 und 0,35 (Gini-Index zwischen 20 und 35) als relativ einkommensgleich bezeichnet (Willis 2005: 9)1.

Laut der beigefügten Tabelle lautet in Deutschland der Gini-Koeffizient für die Jahre 2000 bis 2006: 0,246 - 0,246 - 0,290 - 0,280 - 0,280 - 0,260 - 0,270 Nach der o.a. Definition hätten wir in Deutschland eine relative Einkommensgleicheit.
Stimmt das mit der Wirklichkeit überein?

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