COP27 - das war alles?

Original Veröffentlichung: COP27 – das war alles? | DEMOKRATIE IN BEWEGUNG - DiB

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, hat schon der alte Marx gewusst. Weil das so ist, erkennen wir Menschen die wahre Dimension globaler Herausforderungen meistens erst dann, wenn es fast schon zu spĂ€t zum Reagieren ist: Wir schlittern fröhlich in die Krise hinein, weil sich das Leben halt gerade noch recht angenehm anfĂŒhlt – selbst wenn sich am Horizont bereits dunkle Wolken ballen.

Der dialektische Materialismus, mit dem Karl Marx das menschliche Sein, Streben und Scheitern erklĂ€rte, hat allerdings SchwĂ€chen. Die offensichtlichste liegt in der Lebenszeit. Wer lĂ€nger auf dem Planeten wandelt, verhĂ€lt sich anders als jemand, der erst kĂŒrzlich angekommen ist. Anders gesagt: Junge Menschen machen nicht nur andere Erfahrungen als alte. Sie denken und handeln auch aus einer ganz anderen Perspektive.

Beispiel gefÀllig?

Die Erderhitzung und ihre Folgen sind nach Meinung fast aller Wissenschaftler*innen die grösste Herausforderung, der die Menschheit je gegenĂŒber stand. Jahrelanger Wassermangel und DĂŒrren hier, Anstieg des Meeresspiegels und Überschwemmungen dort, Artensterben, StĂŒrme, Orkane und Tsunamis ĂŒberall. Wir sind kurz davor, die Lebensgrundlagen fĂŒr Milliarden Menschen, Tiere und Pflanzen zugrunde zu richten. Die kĂŒrzlich beendete Weltklimakonferenz in Ägypten hat erneut gezeigt: wir steuern nicht mal um, wenn wir die Katastrophe am Horizont deutlich erkennen können. De facto ist das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen. Unsere Erde erhitzt sich sehr viel stĂ€rker und das hat brutale Folgen.

Das Ergebnis des Gipfeltreffens ist enttĂ€uschend, die EuropĂ€er stellen China, Russland und Saudi-Arabien an den Pranger: „Frechheit, die fördern und fackeln einfach weiter Öl und Gas ab!“

ZusĂ€tzlich sorgen sie dafĂŒr, dass die sogenannten „Entwicklungs- und SchwellenlĂ€nder“ weiter auf fossile Energien setzen mĂŒssen, um unseren Bedarf an billigen Importartikeln zu decken.

Die EuropĂ€er verschweigen dabei auch, dass Deutschland, Frankreich, Italien und der Rest der scheinheiligen Samariterstaaten wieder auf fossile Energie setzen. FlĂŒssiggasterminals werden neu gebaut, Kohle wieder in Massen gebaggert und verfeuert, vor Afrikas KĂŒsten werden neue Gasfelder erschlossen. Die EuropĂ€er stellen sich nicht die Frage welche Annehmlichkeiten, Dienstleistungen und Produkte bei knapper Energie verzichtbar sind. Statt dessen tun sie alles, um ihre die Welt zerstörende Überflussgesellschaft am Leben zu halten. Damit haben sie bei den SchwellenlĂ€ndern ihre GlaubwĂŒrdigkeit im Rekordtempo zerstört. Frau Baerbocks KrokodilstrĂ€nen helfen da auch nicht mehr.

Warum aber bekĂ€mpfen Politiker*innen eine Krise (den Energiemangel), indem sie die andere Krise (die Erderhitzung) noch viel schlimmer machen? In Scharm el-Scheich und in den Regierungszentralen in Washington, Berlin, Peking, Delhi, Moskau, Tokio, Paris und so weiter sind die EntscheidungstrĂ€ger nicht fĂ€hig oder willens, die grĂ¶ĂŸte Bedrohung der gesamten Zivilisation zu stoppen. Nicht einmal die wichtigsten Schritte, die die Bedrohung weit genug eindĂ€mmen könnten, um das Zusammenleben der acht Milliarden Menschen und der Natur fĂŒr die kommenden 15 bis 50 Jahre zu sichern, wurden unternommen.

Der COP27 Gipfel traf nur kurz- keine langfristigen Entscheidungen. Die Politiker*innen stritten darĂŒber, wer als erstes den Fuß vom Gas nimmt und wer wem wieviel dafĂŒr bezahlt statt endlich die Notbremse zu ziehen. Parallel demonstrieren junge Menschen auf den Straßen und Klimaaktivisten starten provokante Aktionen mit Klebstoff, Farbe und Kartoffelbrei. Da ist dann die Empörung groß: „Drehen die jungen Leute jetzt durch?“

Man könnte die Protestaktionen von Klimaaktivist*innen durchaus verurteilen. Wenn man aber fĂŒr die Aktionen der mehrheitlich Ă€lteren Damen und Herren, die auf Gipfeln und in Regierungszentralen hocken, den selben Maßstab anwendet, mĂŒsste das Urteil sehr viel hĂ€rter ausfallen. Deren kollektive Weigerung, die Erderhitzung entschlossen aufzuhalten, ist eine VersĂŒndigung am Leben von Milliarden junger Menschen. Die „Alten“ machen das nicht weil sie böse sind. Sie machen es, weil sie an der Macht sind. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zum alten Marx und seiner These vom Sein, das das Bewusstsein prĂ€gt.

Glaubt ihr nicht? Hier mal nur die wichtigsten Beispiele:

Joe Biden, der nach vorherrschender Meinung mÀchtigste Mensch der Welt, ist soeben 80 Jahre alt geworden. Auch wenn man ihm ein langes Leben gönnt: mehr als 15 Jahre werden es kaum.

Xi Jinping ist fast 70, er kann sich seine verbleibende Zeit schon ausrechnen.

Frank-Walter Steinmeier, hielt als BundesprĂ€sident kĂŒrzlich eine viel beachtete Rede und streifte dabei den Klimaschutz beilĂ€ufig, wird im Januar 67.

Indiens Regierungschef Narendra Modi ist 72.

Wladimir Putin 70.

Olaf Scholz wirkt da im Vergleich mit 64 Jahren fast wie ein Jungspund. Die Mitte seines Lebens hat er jedoch bereits deutlich ĂŒberschritten.

Sie alle und viele weitere Ă€ltere MĂ€nner beeinflussen als Regierungschefs oder politische AutoritĂ€ten maßgeblich die Entscheidung, ob die Menschheit die Klimakrise bewĂ€ltigt oder es wenigstens ernsthaft versucht. Sie alle scheitern an dieser Aufgabe, denn sie betrachten das Problem nur als eines unter vielen. Andere Dinge oder sich selbst nehmen sie wichtiger. Ihren Landsleuten wollen sie keine großen Entbehrungen zumuten. Im besten Fall haben sie fĂŒr Verzweiflung und Wut der jungen Menschen einen jovialen Satz ĂŒbrig. HĂ€ufiger reagieren sie mit PrĂ€ventivhaft (Bayern) oder schlagen mit KnĂŒppeln (China, Russland) zu.
Ich will hier den Demokraten Scholz nicht mit einem Diktator wie Xi Jinping in einen Topf werfen. Bei der Klimakrise ist die Parallele aber leider offensichtlich. Die oben gelisteten Senioren (ja, es sind fast nur MĂ€nner) erleben die menschengemachte Klimakrise nicht mehr selbst. Wenn das Leben in weiten Teilen der Erde zu einem tĂ€glichen Kampf gegen stĂ€ndiges Extremwetter, DĂŒrren, Überflutungen, Hungersnöte und Massenmigration wird, haben sie lĂ€ngst das Zeitliche gesegnet. Genau deshalb tun sie zu wenig gegen die Klimakrise. Dieses Problem bedroht nicht mehr ihre Existenz, sie sind davon nicht mehr persönlich berĂŒhrt.

FĂŒr junge Menschen sieht das ganz anders aus und daher appellieren sie immer verzweifelter an die „Alten“. Die Jugend hat lĂ€ngst verstanden, dass sie den Rest ihres Lebens auf dem Misthaufen leben mĂŒssen, der mal ein intakter Planet war. Da bleibt aktuell nur die Hoffnung, dass wenigstens sie den ollen Marx widerlegen werden.

Randnotiz zum schlechten Schluss:

Aus ihrer EnttĂ€uschung ĂŒber die lauen Kompromisse bei der Klimakonferenz in Scharm el-Scheich hat Umweltministerin Steffi Lemke keinen Hehl gemacht: „Das Ergebnis der COP27 insgesamt bleibt hinter dem Notwendigen zurĂŒck, das ist extrem bitter“, erklĂ€rte die GrĂŒnen-Politikerin. Aber: die Ressortchefin stellte zu Beginn der Haushaltswoche ihren Etat fĂŒr Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz im Bundestag zur abschließenden Debatte vor. Dabei kann sie mit einem Plus planen. In ihrem GeschĂ€ftsbereich fĂŒr das kommende Jahr sind Gesamtausgaben von 2,45 Milliarden Euro vorgesehen – 280 Millionen Euro mehr als 2022!

Aber Achtung: fast die HĂ€lfte des Gesamtetats von 1,16 Milliarden Euro sind fĂŒr die Zwischen- und Endlagerung radioaktiver AbfĂ€lle eingeplant.

8 „GefĂ€llt mir“

Tja, und dann noch die unglĂŒckselige Taxonomie der EU (ĂŒbersetzt = Atomkraft ist cool), die wir vom European Parliament / Europe Calling in letzter Minute mit vielen anderen Mitstreitern entschĂ€rfen konnten.
Und -ein Teilerfolg - die ersten Fonds (von DWS/BlackRock etc.) bezeichnen einen Teil der Emissionen nicht mehr als hochgradig werthaltig.
Dies kann nur der Anfang sein- aber immerhin in einem demokratischen Diskurs getroffen.

1 „GefĂ€llt mir“

Zitat aus dem Tagesspiegel heute:
" zurĂŒckgezuckt, hat jetzt auch der weltweit zweitgrĂ¶ĂŸte Vermögensverwalter Vanguard: Das Unternehmen, das rund 7.000 Milliarden US-Dollar an Kapitalanlagen verwaltet, hat gestern kurzerhand seinen Austritt aus der Klimabrancheninitiative NZAM erklĂ€rt. Der Beitritt zu dem BranchenbĂŒndnis habe Verwirrung erzeugt statt Klarheit ĂŒber die Nachhaltigkeitsziele.

Ein RĂŒckschlag? Man kann das auch positiv sehen: Wer sich auf Druck ewig gestriger republikanischer US-Politiker beeilt, zu versichern, niemand, besonders aber die Öl- und Gasindustrie, zu „diskriminieren“, der sollte auch nicht so tun, als wolle er sein Portfolio binnen einiger Jahrzehnte auf netto Null KlimaausstĂ¶ĂŸe bringen. Also: Es gibt einen Zuwachs an Klarheit und Ehrlichkeit. Man darf gespannt sein, wie es jetzt bei der NZAM weitergeht."

1 „GefĂ€llt mir“

Welchen Kleber braucht’s fĂŒr die Aktionen?

Cyanoacrylat-Klebstoffe, besser bekannt als ‚Sekundenkleber‘ oder Klebstoffe auf Polyurethan-Basis sollten funktionieren. :wink:

1 „GefĂ€llt mir“

Ich sehe das eindeutig als RĂŒckschlag. Ein Unternehmen mit einem Vermögensvolumen von 7.000 Milliarden US-Dollar hĂ€tte mit einer kompletten Änderung seines Portfolios hin zu Nachhaltigkeit und Ökologie sehr viel bewegt. Jetzt wird nur deutlich: in allen LĂ€ndern mĂŒssen die Menschen ihre Stimme erheben, alle demokratischen Möglichkeiten nutzen und eine politische Wende schaffen. Die vorherrschende Ökonomie wird sich nicht freiwillig Ă€ndern. Das geschieht nur durch eindeutige politische Vorgaben.
Aktuell (siehe Blogbeitrag) sitzen auch auf lĂ€ngere Sicht sowohl in den Regierungen als auch den FĂŒhrungsetagen sitzen die alten ĂŒberhaupt nicht weisen MĂ€nner und machen immer weiter wie bisher.

4 „GefĂ€llt mir“

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