Hallo zusammen,
die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze (Wat dat is, kommt glei) ist mir seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, da sie meiner Einschätzung nach höchst unsozial ist. Beim Versuch, eine Ini zur Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze zu starten, fiel mir auf, dass DiB vor einiger Zeit bereits einen solchen Versuch unternommen hat, der aber im Sande verlaufen ist:
https://marktplatz.dib.de/t/abschaffung-der-beitragsbemessungsgrenze/7608
Daher meine Frage: Wollen wir diese Diskussion wieder aufnehmen? Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze ist Teil der Ini ums BGE, aber eine separate Ini dazu kann nicht schaden, denke ich. Und letztlich gibt es zwei mögliche Ausgänge: Entweder wir entscheiden uns für die Abschaffung oder gegen die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze. So oder so: Wir hätten zumindest eine demokratisch legitimierte Position zu dieser Frage.
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Inhaltliche Diskussion erwünscht?: Ja, ausdrücklich
Bearbeitungsstatus: Idee
Redaktionsschluss: offen
Einleitung:
Einkünfte unterliegen neben der Pflicht zur Abfuhr der Einkommenssteuer auch der Pflicht, Sozialbeiträge zu leisten, die anhand der Höhe des Einkommens bemessen werden: je höher das Einkommen, desto höher die Sozialbeiträge ((gesetzliche) Rentenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung). Ab einem bestimmten Einkommen jedoch werden diese Beiträge gedeckelt, d.h. es gibt eine Obergrenze beiden Sozialbeiträgen. Diese Initiative fordert die Aufhebung dieser Deckelung (sogenannte Beitragsbemessungsgrenze) im Sinne sozialer Gerechtigkeit.
Problembeschreibung:
Im Moment wird bei der Ermittlung der Sozialversicherungsabgaben nur bis zu einer bestimmten Bruttolohnhöhe gerechnet (genannt Beitragsbemessungsgrenze), alles, was darüber hinaus verdient wird, wird nicht beachtet. Das vergrößert nicht nur die Kluft zwischen arm und reich, sondern verschenkt Einnahmen, die sinnvoll genutzt werden können.
Für das Jahr 2019 gelten folgende Beitragsbemessungsgrenzen: [1]
- Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung: 4.537,50€ pro Monat (54.450€ pro Jahr) bundeseinheitlich.
- Allgemeine Renten- und Arbeitslosenversicherung:
- West: 6.700€ pro Monat (80.400€ pro Jahr)
- Ost: 6.150€ pro Monat (73.800€ pro Jahr)
Dies wirft direkt zwei Probleme auf:
- Die unterschiedlichen Höhen der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Renten- und Arbeitslosenversicherung benachteiligt Arbeitnehmer*innen in den alten Bundesländern, da bei gleichen (hohen) Einkünften die Abgabenlast West höher ist als die Abgabenlast Ost.
- Die Beitragsbemessungsgrenze als solche bevorzugt Besserverdienende, da sie deren Abgabenlast deckelt. Dazu ein Rechenbeispiel: [2]
Wer über Bruttoeinkünfte von monatlich 6.000€ verfügt, müsste ohne Beitragsbemessungsgrenze etwa 465€ Krankenversicherungsbeiträge zahlen. Mit Beitragsbemessungsgrenze ist aber lediglich der Höchstsatz von etwa 352€ monatlich zu zahlen. Damit entgehen der gesetzlichen Krankenversicherung (und damit dem Versichertenkollektiv) Mehreinnahmen in Höhe von etwa 113€.
Forderungen
Die Kernforderung ist die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze. Damit wären beide oben beschriebene Missstände zugleich behoben. Um eine plötzliche Überbelastung der Betroffenen abzufedern, wären verschiedene Modelle denkbar (die auch miteinander kombinierbar sein können):
- Übergangsmodell: Die Beitragsbemessungsgrenze wird nicht sofort abgeschafft, sondern schrittweise erhöht. Zwar wird auch bereits jetzt die Beitragsbemessungsgrenze jährlich durch die Bundesregierung angepasst, aber sie müssten künftig eben nicht nur angepasst sondern signifikant erhöht werden.
- Aktuell werden auf das abgabepflichtige Einkommen (also das Einkommen bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze) konstante Prozentsätze als Abgabenlast angewandt (s. Unterpunkte). [3a] [3b] Denkbar wäre aber ein flexibleres Abgabenmodell.
- Allgemeiner Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung: 7,3%
- Rentenversicherung: 9,3%
- Arbeitslosenversicherung: 1,25%
- Pflegeversicherung: 1,525%
- Weiterhin gibt es ermäßigte Sätze. Außerdem stellt Sachsen aufgrund des Buß- und Bettages (zusätzlicher Feiertag) eine Ausnahme dar.
Wie könnte ein flexibles Abgabenmodell aussehen? Auch hier sind viele Möglichkeiten denkbar. Ein Modell, über das wir diskutieren können, könnte wie folgt aussehen: Bis zur Beitragsbemessungsgrenze wird weiterhin ein konstanter Abgabensatz angewandt. Danach legen wir einen abfallenden Grenzabgabensatz zugrunde.
Klingt kompliziert? Ist es aber nicht. Zur Erklärung:
Verwendet man im wirtschaftlichen Kontext die Vorsilbe „Grenz-“ (wie in Grenzsteuersatz, Grenzgewinn oder wie hier: Grenzabgabensatz), so meint man damit - mathematisch gesprochen - die erste Ableitung der jeweiligen Funktion. Wiederum mathematisch bedeutet „erste Ableitung“ so viel wie Anstieg. Ein Grenzsteuersatz bzw. ein Grenzabgabensatz bedeutet folglich, mit welchem Steuersatz bzw. Abgabensatz (also zu wie viel Prozent) jede unendlich kleine Geldmenge belegt wird, die ich mehr verdiene. Oder etwas griffiger: Grenzabgabensatz = „Wie viel Prozent eines jeden Euro, den ich mehr habe, muss ich abgeben?“
Aktuell liegen die Grenzabgabensätze also bei den oben erwähnten Prozentsätzen. Beispiel: Von jedem Euro, den ich mehr verdiene, muss ich 7,3% (0,073€) für die gesetzliche Krankenversicherung abgeben. Das entspricht also einem konstanten Grenzabgabensatz.
Bis zur Beitragsbemessungsgrenze kann dieser konstante Grenzabgabensatz auch so beibehalten werden, so würde sich für Arbeitnehmer*innen mit Brutto-Einkünften unterhalb dieser Grenze nichts ändern. Für höhere Einkommen könnte man aber einen fallenden Grenzabgabensatz vorsehen.
Das hätte zwei Folgen:
- Sämtliche Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze würden mit denselben Abgaben wie bisher belegt.
- Wer mehr verdient als die heutigen Beitragsbemessungsgrenzen, zahlt mehr in die Sozialkassen ein. Allerdings wird die Abgabenlast dann mit jedem Euro mehr geringer.
Dieses Modell würde noch immer höhere Einkommen bevorzugen (da eben der Grenzabgabensatz sinkt), würde aber einen Kompromiss aus dem Status quo und einem durchweg kontantem Grenzabgabensatz darstellen.
Wenn gewünscht, denke ich mir ein ganz konkretes Beispiel aus und rechne das mal durch.
Quellen
[1] Höhe der Beitragsbemessungsgrenzen: Beitragsbemessungsgrenze (BBG) 2023 | Sozialwesen | Haufe
[2] Beitragsbemessungsgrenze 2023: Wie hoch ist sie?
[3a] Beitragssätze in der Sozialversicherung | Die Techniker - Firmenkunden
[3b] https://www.tk.de/resource/blob/2053494/65a3c78e8e27fb13dba506693fab28c9/beitragstabelle-2019-data.pdf