Zwischen Romantik und Gewalt

Original Veröffentlichung: Zwischen Romantik und Gewalt | DEMOKRATIE IN BEWEGUNG - DiB

Die RealitÀt der Frauen in einer unvollstÀndigen Gleichstellung

Heute möchte ich einen Text mit euch teilen, den ich aufgrund seiner LĂ€nge in mehrere Teile aufteilen musste. Diese Blogtexte werden sich mit der immer noch hochaktuellen Thematik der Frauen innerhalb patriarchaler Strukturen beschĂ€ftigen. Das Patriarchat ist noch lĂ€ngst nicht ĂŒberwunden, auch wenn es oft nicht mehr so deutlich erkennbar scheint. Doch in vielen Bereichen des Lebens – sei es in persönlichen Beziehungen, in der Arbeitswelt oder in der Gesellschaft – bleiben die Auswirkungen dieses Systems spĂŒrbar.
Ich möchte in diesem ersten Teil aufzeigen, wie die RealitĂ€t fĂŒr Frauen auch heute noch von patriarchalen Strukturen geprĂ€gt ist. DafĂŒr nehme ich euch mit in meine eigene Erfahrungswelt und erzĂ€hle von Menschen aus meinem Leben und meinem Umfeld, deren Geschichten beispielhaft sind fĂŒr die vielen Frauen, die nach wie vor unter den ungleichen VerhĂ€ltnissen leiden. Diese persönlichen Erlebnisse spiegeln wider, wie tief verwurzelt die strukturellen Ungleichheiten sind, die noch immer das Leben vieler Frauen beeinflussen.
Im zweiten Teil werde ich mich mit den harten Zahlen und Fakten befassen, die zeigen, wie systemisch diese patriarchalen Strukturen auch heute noch wirken. Ich werde darlegen, in welchen Bereichen wir Frauen nach wie vor mit Benachteiligungen und Gewalt zu kĂ€mpfen haben – und wie diese Diskriminierung in den Strukturen unserer Gesellschaft fest verankert ist.
Liebe MĂ€nner, ich möchte betonen, dass das Patriarchat auch euch nicht nur Vorteile bringt. Im Gegenteil – viele von euch sind genauso betroffen. Diese Problematik ist nicht nur eine Frage des Geschlechts, sondern betrifft das ganze gesellschaftliche System. Deshalb wird es einen eigenen Text fĂŒr euch geben, um auch auf eure Perspektive einzugehen, die nicht mit ein paar Zeilen abgetan werden kann.
Und schließlich möchte ich auch die queere Community und andere marginalisierte Gruppen nicht auslassen. Ihr habt ebenfalls einen separaten Blogtext verdient, der eure Erfahrungen und die Auswirkungen patriarchaler Strukturen auf euch beleuchtet.
Lasst uns gemeinsam einen Blick auf diese Thematik werfen und beginnen, die tief verwurzelten Strukturen zu hinterfragen, die uns alle betreffen.

Die Evolution von Romantik und Sicherheit

„Darf ich Ihnen aus dem Mantel helfen?“ – „Nehmen Sie doch Platz, FrĂ€ulein“, sĂ€uselte der Galan, wĂ€hrend er ihr einen Stuhl unter den Allerwertesten schob, „Was darf ich Ihnen zu trinken bestellen?“ Diese Szenen mögen aus einem lĂ€ngst vergangenen Zeitalter stammen, in dem Höflichkeit und Kavaliersregeln noch hochgehalten wurden. Die MĂ€dchen saßen gesittet am Tisch, warteten geduldig, bis der adrette JĂŒngling herbeieilte, um sie höflich zum Tanz zu bitten.
Doch heute dĂŒrften sich nur noch wenige mit diesen alten Gepflogenheiten identifizieren. Die heutige Generation lebt in einer Welt, die laut, hektisch und von unterschiedlichen Normen geprĂ€gt ist, besonders wenn es um den Umgang zwischen den Geschlechtern geht.

Die Augen unserer Mutter leuchteten immer, wenn sie uns von diesen „goldenen Zeiten“ erzĂ€hlte. Die Romantik einer vergangenen Ära, in der ein Mann noch um die Frau „wirbt“, klang verlockend, fast ein wenig nostalgisch. Wir hörten gespannt zu und verglichen es dann mit unserer eigenen Welt: Lautes, rhythmisches GetĂŒmmel auf der TanzflĂ€che, bei dem man sich mehr oder weniger zum Takt bewegte – eine Welt, in der man nicht auf die Geste des höflichen Galans wartete. Unsere MĂ€ntel hingen wir selbst an die Garderobe, der „perfekte Kavalier“ war weit und breit nicht in Sicht, und statt eines hĂŒbschen HandtĂ€schchens trugen wir kleine Beutel am GĂŒrtel oder an einem Band um den Hals, um uns vor DiebstĂ€hlen zu schĂŒtzen. Auf Partys und in Discotheken hatten wir immer eine Flasche Mineralwasser und eine Thermoskanne Kaffee im Auto, fĂŒr eine kurze Pause zwischendurch, und damit uns niemand Substanzen in unser GetrĂ€nk mischen konnte. Ganz selten tranken wir etwas in den Clubs, aber wenn, dann ließen wir unser Glas keinen Moment aus den Augen oder hielten es solange fest, bis es leer war.

Obwohl der Spaß sicherlich nicht fehlte – schließlich waren wir selbst fĂŒr unseren eigenen Humor verantwortlich – doch so blieb die Romantik auf der Strecke. Die Vorstellungen von der „wahren Liebe“ waren weit entfernt. Trotzdem trĂ€umten auch wir von dem Prinzen, der uns aus dem Elfenbeinturm befreit, vom Ritter, der mit uns auf seinem weißen Ross in den Sonnenuntergang reitet oder vom Helden, der uns aus einer misslichen Lage rettet.
Solche TrĂ€ume, die in den ErzĂ€hlungen unserer MĂŒtter so selbstverstĂ€ndlich schienen, wurden in unserer RealitĂ€t mehr und mehr von einer anderen Art von „Verhalten“ verdrĂ€ngt: einem Mangel an Sicherheit und einem unausgesprochenen GefĂŒhl von Bedrohung.

Eines Abends – wir hatten einfach genug vom LĂ€rm in der Disco, vom stĂ€ndigen Schreien, um sich zu unterhalten – landeten wir in einem Tanzlokal mit einer echten Band. Die Musik war angenehm, die LautstĂ€rke ertrĂ€glich, und wir konnten endlich die Tanzfiguren aus dem Kurs, den wir besucht hatten, zum Besten geben. In diesem Moment konnten wir fast ein wenig nachfĂŒhlen, wie es wohl zu Zeiten unserer Mutter gewesen sein muss – eine AtmosphĂ€re von Stil und Eleganz. Doch auch hier war die RealitĂ€t eine andere: Wir waren ausgerechnet im „Ball der einsamen Herzen“ gelandet, und schnell wurden wir – jung, unbekĂŒmmert wie wir waren – und auf der Suche nach einem netten Abend – von Ă€lteren Herren umgarnt.

Was uns bei all diesen Erlebnissen zunehmend bewusst wurde, ist, wie viel sich in unserer Wahrnehmung von „Romantik“ und „Beziehung“ verĂ€ndert hat – und das nicht unbedingt im Positiven. Diese scheinbar charmanten alten Rituale von Höflichkeit und Aufmerksamkeit schienen im Vergleich zu den Herausforderungen, denen wir heute als Frauen ausgesetzt sind, fast wie eine ideale Welt. Die Flirts, die einladenden Geste des „Höflichen Galans“, wurden durch eine andere RealitĂ€t ersetzt: eine, die oft von Unsicherheit, BelĂ€stigung und der stĂ€ndigen Wachsamkeit vor möglichen Übergriffen geprĂ€gt ist. Der Traum vom beschĂŒtzenden Prinzen geriet zunehmend in den Hintergrund, als wir uns mit realen, alltĂ€glichen Bedrohungen konfrontiert sahen.

Die Romantik aus vergangenen Zeiten mag heute wie ein Relikt aus einer anderen Welt erscheinen, aber die Wahrheit ist, dass die Strukturen, die diese Welt prĂ€gten, uns auch heute noch beeinflussen. Die Erwartung, dass Frauen sich höflich und passiv verhalten sollten, wird nach wie vor als „gutes Benehmen“ angesehen, wĂ€hrend MĂ€nner in vielen Bereichen immer noch als die „BeschĂŒtzer“ oder „AnfĂŒhrer“ wahrgenommen werden. Diese patriarchalen Strukturen, die das Verhalten und die Bewegungen von Frauen auf subtile Weise kontrollieren, sind nach wie vor prĂ€sent und in vielen FĂ€llen auch gefĂ€hrlich. Denn anstatt Frauen die Freiheit zu geben, sich selbst zu entfalten und in jeder Umgebung sicher zu fĂŒhlen, wird ihnen immer noch das GefĂŒhl vermittelt, sich stĂ€ndig in einer potenziellen Bedrohung zu befinden.

Die unsichtbaren Barrieren der Sicherheit

Unsere Erlebnisse – also jene meiner Schwester und mir – in Italien waren weniger erbaulich, sondern zeigten uns die dunkle Seite der Gesellschaft, mit der wir als Frauen hĂ€ufig konfrontiert werden. Ab einer bestimmten Uhrzeit am spĂ€ten Nachmittag war es fĂŒr uns schlichtweg nicht mehr sicher, die Straße zu betreten. Die Straßen, die am Tag von einem angenehmen, beinahe touristischen Charme erfĂŒllt waren, verwandelten sich in ein gefĂ€hrliches Pflaster. Wir wurden angepöbelt, unsittlich angefasst und immer wieder von angetrunkenen, unflĂ€tigen MĂ€nnern umringt. WĂ€hrend Frauen, die von einem Mann begleitet wurden, weiterhin sorglos SpaziergĂ€nge entlang der Promenade machen, in einem StraßencafĂ© sitzen oder die Schaufenster entlangbummeln konnten, waren wir – allein und ohne mĂ€nnliche Begleitung – einem ganz anderen Risiko ausgesetzt.

Ein Auto besaßen wir nicht, und das Geld fĂŒr teure Taxis hatten wir auch nicht, also blieb uns nur die Wahl: Uns in die Gefahren des öffentlichen Raums zu stĂŒrzen oder uns im Hotel zu verbarrikadieren. Eine der erschreckendsten Erfahrungen war, dass wir beinahe in ein Auto gezerrt worden wĂ€ren. Nur durch Zufall und unsere körperliche Fitness gelang es uns, uns aus dieser gefĂ€hrlichen Situation zu befreien, bevor es ernsthafte Konsequenzen hatte. Aber in diesem Moment fĂŒhlten wir uns nicht nur von den MĂ€nnern bedroht, sondern auch von einem unsichtbaren System, das uns im öffentlichen Raum nur unzureichend schĂŒtzt und uns in die Rolle der „potenziellen Opfer“ drĂ€ngt.

Obwohl viele Menschen unterwegs waren, passierte das Unfassbare: Niemand, wirklich niemand, schien auf uns zu achten. Kein Passant hielt an, um uns zu helfen. Niemand hatte den Mut, sich gegen das offensichtliche Fehlverhalten der MĂ€nner zu stellen. Es war eine erschreckende Erkenntnis, dass wir uns nicht nur gegen die Gewalt dieser MĂ€nner wehren mussten, sondern auch gegen die gesellschaftliche GleichgĂŒltigkeit, die wir als Frauen in diesem Moment erlebten.

Leider sind diese Erfahrungen nicht nur auf andere LĂ€nder beschrĂ€nkt – auch in Deutschland sind die Straßen nicht mehr der sichere Raum, der sie eigentlich einmal fĂŒr Frauen gewesen sein sollten. Die erschreckenden Ereignisse aus der Kölner Silvesternacht von 2015 sind noch immer in den Köpfen vieler Frauen prĂ€sent und ein Beispiel fĂŒr die tief verwurzelte Unsicherheit, mit der viele von uns konfrontiert sind, wenn sie den öffentlichen Raum betreten. Frauen sind nicht nur Opfer der physischen Gewalt, sondern auch von gesellschaftlichen Normen und Strukturen, die ihre Freiheit einschrĂ€nken und ihre Bewegungen kontrollieren. Es ist eine erschreckende RealitĂ€t, dass sich viele Frauen auch heute noch mit der Frage auseinandersetzen mĂŒssen: Ist es sicher fĂŒr mich, nachts und zuweilen sogar tagsĂŒber alleine unterwegs zu sein?

Es hat sich vieles verĂ€ndert – aber leider nicht immer zum Guten. Denn auch wenn Frauen heute mehr Rechte und Freiheiten genießen als noch vor wenigen Jahrzehnten, so zeigt sich immer wieder, dass diese Freiheiten durch patriarchale Strukturen und eine Kultur der GleichgĂŒltigkeit oder Bagatellisierung von BelĂ€stigung und Gewalt bedroht sind. Die Verantwortung fĂŒr diese MissstĂ€nde liegt nicht nur bei den TĂ€tern, sondern auch an einer Politik, die nichts Ă€ndert, einer Justiz, die nicht durchgreift und bei einer Gesellschaft, die oft wegschaut und die strukturellen VerĂ€nderungen zu lange hinauszögert.

Die Frage, die sich stellt, ist: Wie können wir diese Barrieren, die Frauen tagtĂ€glich in ihrer Freiheit und Sicherheit einschrĂ€nken, ĂŒberwinden? Wie können wir einen Raum schaffen, in dem Frauen sich sicher und unbeschwert bewegen können – ohne stĂ€ndig darĂŒber nachzudenken, was mit ihnen passieren könnte? Der Weg dorthin erfordert nicht nur mehr Sensibilisierung und eine konsequentere Strafverfolgung von Übergriffen, sondern auch ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft.

Die SicherheitslĂŒcke fĂŒr Frauen bei der Forderung nach mehr ÖPNV

Ich – als die NaturschĂŒtzerin in Person – habe ein ernstes Problem mit den politischen Forderungen, die den Umstieg von privaten Autos auf den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) fordern – und das besonders in Bezug auf uns Frauen. Auch wenn es in vielen StĂ€dten bereits BemĂŒhungen gibt, die Sicherheit zu erhöhen, ist die Lage fĂŒr uns Frauen – vor allem abends und nachts – weiterhin Ă€ußerst problematisch und fragwĂŒrdig. Pöbeleien, sexuelle BelĂ€stigungen, Angriffe und sogar Morde sind leider keine Ausnahmen, sondern kommen immer wieder vor. Es scheint, als wĂŒrde die Umweltpolitik hier auf dem RĂŒcken der weiblichen Gesellschaft gemacht.

Ich persönlich habe zwei Jahre ohne eigenes Auto im lĂ€ndlichen Raum gelebt – und das war eine wirklich schwierige Zeit. Es war nicht nur eine logistische Herausforderung, alltĂ€gliche Dinge wie GetrĂ€nke oder Waschpulver nach Hause zu transportieren, sondern auch die stĂ€ndige Angst, sich auf dunklen Straßen und Wegen zu bewegen. Gröhlende MĂ€nnerhorden und unheimliche Gestalten machten jede Abendveranstaltung, jedes Kino, jeden Restaurantbesuch und sogar das Tanzen zu einem riskanten Unterfangen. In unserer lĂ€ndlichen Gegend war die Situation noch viel schwieriger, da es unter UmstĂ€nden keinen ÖPNV gab, der spĂ€t abends oder nachts noch fuhr.

Was hier gefordert wird, sind gut gemeinte Umweltmaßnahmen, die jedoch in ihrer Umsetzung die Sicherheit von Frauen außer Acht lassen und sie gefĂ€hrden. Damit legt die Politik den Preis fĂŒr den Umweltschutz auf die Schultern derjenigen, die ohnehin schon mit unsichtbaren Barrieren und Gefahren im Alltag konfrontiert sind – und das sind in vielen FĂ€llen eben wir Frauen.

Die Wahrheit ist, dass Frauen in vielen Teilen der Gesellschaft nicht die Freiheit haben, sich nach Einbruch der Dunkelheit genauso sicher zu bewegen wie MĂ€nner. Das gilt nicht nur fĂŒr lĂ€ndliche Gebiete, sondern auch in vielen stĂ€dtischen Regionen. Zwar gibt es hier und da Schutzmaßnahmen und BemĂŒhungen der Kommunen, doch sie reichen bei Weitem nicht aus. Frauen sind gezwungen, ihre Freiheit und MobilitĂ€t nach den Uhrzeiten zu messen, zu denen sie sich sicher fĂŒhlen können. Das bedeutet hĂ€ufig, dass sie zu Hause bleiben, sich von sozialen AktivitĂ€ten zurĂŒckziehen oder sich einem stĂ€ndigen GefĂŒhl der Bedrohung aussetzen mĂŒssen, wenn sie sich außerhalb ihres sicheren Umfeldes bewegen.

Die Forderung nach mehr Nutzung des ÖPNV, ohne diese Sicherheitsaspekte wirklich in den Fokus zu nehmen, geht an der RealitĂ€t vieler Frauen vorbei. Sicherheit ist ein grundlegendes BedĂŒrfnis, das nicht hinter ökologischen Zielen zurĂŒckstehen darf. Frauen haben das Recht, sich frei und ohne Angst in der Gesellschaft zu bewegen – nicht nur tagsĂŒber, sondern auch nachts, ohne befĂŒrchten zu mĂŒssen, Opfer von Gewalt zu werden. Bis sich diese UmstĂ€nde Ă€ndern, ist der Umstieg auf den ÖPNV unter diesen Bedingungen nicht nur unpraktisch, sondern gefĂ€hrlich.

Die Politik muss endlich begreifen, dass Frauen – besonders abends – keine einfachen „Zielgruppen“ fĂŒr die Umsetzung umweltpolitischer Forderungen sind. Stattdessen mĂŒssen wir sicherstellen, dass es auch einen sicheren, zuverlĂ€ssigen und frauenfreundlichen öffentlichen Nahverkehr sowie sichere Straßen gibt, der uns den Zugang zur Gesellschaft ohne Angst ermöglicht.

Das Drama von Agnes

Ich möchte euch von Agnes erzĂ€hlen. Sie war mit einem sehr gutaussehenden, jungen und Ă€ußerst gebildeten Mann liiert – Ernst, wie er hieß. Es war eine frische Beziehung, sie waren erst seit ein paar Monaten zusammen, aber Agnes schien ĂŒberglĂŒcklich zu sein. Sie war eine meiner besten Freundinnen, eine Frau, die mit ihrem fröhlichen Wesen und ihrer Intelligenz alle um sich herum in den Bann zog. Mit ihr konnte man wirklich durch dick und dĂŒnn gehen. Doch das, was zunĂ€chst wie das perfekte MĂ€rchen aussah, verwandelte sich langsam in einen Albtraum.

Ernst, der auf den ersten Blick charmant und fĂŒrsorglich wirkte, begann, Agnes immer mehr einzuengen. Anfangs war es noch harmlos – kleine Bemerkungen, die versuchten, ihre Entscheidungen zu beeinflussen. Doch dann wurde es schlimmer. Er kontrollierte sie, ĂŒbernahm immer mehr die Kontrolle ĂŒber ihren Alltag und begann schließlich, sie regelrecht zu ĂŒberwachen. Die Freiheit, die Agnes in ihrer Beziehung einst so genossen hatte, war schnell verschwunden. Das, was anfangs wie ein Liebesbeweis aussah, entpuppte sich als Besessenheit. Ihr GlĂŒck zerfledderte wie eine alte Zeitung.

Agnes, die nie jemand war, der sich leicht entmutigen ließ, zog schließlich den Schlussstrich und trennte sich von Ernst. Doch das war erst der Beginn des eigentlichen Dramas. Ernst konnte die Trennung nicht akzeptieren. Er schlich ihr hinterher, versteckte sich hinter BĂŒschen und BĂ€umen, sprang plötzlich hinter irgendwelchen HĂŒtten hervor, um sie zu erschrecken. Er verfolgte sie und belĂ€stigte sie so sehr, dass Agnes kaum noch einen Schritt vor die TĂŒr setzen konnte, ohne sich bedroht zu fĂŒhlen.

Es war klassisches Stalking – eine Form von Gewalt, die oft unsichtbar bleibt, aber einen immensen psychischen Druck auf das Opfer ausĂŒbt. Agnes, die ich sehr schĂ€tzte und die als starke Frau galt, verwandelte sich unter diesem Druck in einen Schatten ihrer selbst. Sie wurde Ă€ngstlich und schreckhaft, traute sich nicht mehr, alleine zu sein, und fand kaum noch einen sicheren Ort, um sich zu verstecken.

Schließlich entschloss sich Agnes, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Doch die Hilfe, auf die sie gehofft hatte, blieb zunĂ€chst aus. Erst 2007 wurde das Stalking in Deutschland offiziell unter Strafe gestellt – das war also erst vor wenigen Jahren. Zuvor war Stalking eine Grauzone, in der die Polizei nur schwer etwas unternehmen konnte. Ein aufmerksamer Kommissar riet ihr, ein Stalking-Tagebuch zu fĂŒhren und möglichst viele Zeugen zu finden, die ihre Geschichte bestĂ€tigen könnten.

Monatelang musste Agnes die Verfolgung durch Ernst ertragen. Sie versteckte sich bei mir, um ein bisschen Ruhe zu finden – Wochen vergingen, in denen sie sich kaum noch traute, das Haus zu verlassen. Es war eine Zeit, die sowohl fĂŒr sie als auch fĂŒr mich extrem belastend war. Doch irgendwann konnte sie genĂŒgend Beweise sammeln und auch Zeugen finden, die ihre Geschichte bestĂ€tigten. Schließlich kam es tatsĂ€chlich zu einem Prozess, der mit einem Vergleich endete – und das Ganze hatte praktisch keine wirklichen Folgen fĂŒr Ernst. Der Fall verlief fast folgenlos, außer dass er fortan Agnes in Ruhe ließ.

Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie das Stalking von Frauen auch heute noch in vielen FĂ€llen entweder nicht ernst genug genommen wird oder mit unzureichenden rechtlichen Konsequenzen verbunden ist. Agnes‘ Leidensweg ist leider kein Einzelfall. Stalking ist eine Form der Gewalt, die viel zu lange unter dem Radar geblieben ist und immer noch in vielen FĂ€llen als „harmlos“ oder â€žĂŒbertrieben“ abgetan wird. Die Tatsache, dass es erst so spĂ€t gesetzlich anerkannt wurde, zeigt, wie tief verwurzelt die gesellschaftliche Toleranz fĂŒr diese Form der BelĂ€stigung noch immer ist.

Agnes hat GlĂŒck gehabt, dass sie irgendwann die Hilfe bekommen hat, die sie brauchte, und dass sie den Mut hatte, sich zu wehren. Aber nicht jeder hat dieses GlĂŒck. Stalking kann die LebensqualitĂ€t von Frauen massiv beeintrĂ€chtigen und zu einem GefĂŒhl der stĂ€ndigen Bedrohung fĂŒhren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns nicht nur mit den unmittelbaren, physischen Formen der Gewalt auseinandersetzen, sondern auch die unsichtbaren, psychischen Verletzungen ernst nehmen und Frauen den Raum geben, sich gegen solche Übergriffe zu wehren. Nur so können wir verhindern, dass solche FĂ€lle weiter „folgenlos“ bleiben.

Zwischen Mut, Angst und gesellschaftlicher Ignoranz

Ich hatte noch eine Freundin, die eine Geschichte lebte, die die RealitĂ€t vieler Frauen widerspiegelt, die sich gegen die Gewalt und UnterdrĂŒckung in patriarchalen Strukturen durchsetzen mussten. Sie hatte sich von einem herrschsĂŒchtigen und spielsĂŒchtigen muslimischen Mann getrennt, der ihr und ihren Kindern das Leben zur Hölle machte. Was fĂŒr uns im ersten Moment wie eine Befreiung klang, war fĂŒr sie der Beginn eines jahrelangen Kampfes. Sie musste sich nicht nur gegen ihren gewalttĂ€tigen Ex-Partner behaupten, sondern auch gegen den Widerstand in ihrer eigenen muslimischen Familie, insbesondere ihrer Mutter, die sich zunĂ€chst schwer damit tat, ihre Tochter in ihrer Entscheidung zu unterstĂŒtzen.
Inmitten dieser schwierigen Situation lernte sie unsere deutschen Scheidungsgesetze kennen. Gesetze, die in ihrer Theorie sicherlich die Rechte von Frauen und Kindern schĂŒtzen sollten, aber in der Praxis oft nur eine bĂŒrokratische HĂŒrde darstellen. Z.B. – ein Jahr getrennt leben, bevor die Scheidung endgĂŒltig vollzogen werden kann. Doch was war das fĂŒr eine RealitĂ€t, in der sie lebte? Trotz eines gerichtlich verfĂŒgten Abstandsgebots wurde sie weiterhin verfolgt, gestalkt und eingeschĂŒchtert. Sie war stĂ€ndig auf der Flucht.

Diese Freundin war eine der nettesten und hilfsbereitesten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Sie gab nie auf, trotz allem, was sie durchmachte. Anfangs floh sie mit ihren Kindern in ein Frauenhaus. Doch die PlĂ€tze in diesen HĂ€usern sind rar und der Schutz, den sie sich anfangs dort erhoffte, war brĂŒchig. Ihr Ex-Mann fand sie trotzdem, und sie musste sich wieder eine neue Bleibe suchen. Ein Umzug nach dem anderen, die stĂ€ndige Angst, nie zu wissen, ob er sie wieder finden wĂŒrde. Doch trotz all dieser Belastungen blieb sie nicht in der Opferrolle. Sie entschied sich, eine Ausbildung zu machen, um sich aus der finanziellen AbhĂ€ngigkeit zu befreien und ihr eigenes Leben wieder aufzubauen. Sie wollte nicht nur fĂŒr sich selbst, sondern auch fĂŒr ihre Kinder eine Zukunft ohne Gewalt und Angst schaffen.

Aber das Leben in stÀndiger Angst hörte nicht auf. Die Polizei, die in solchen FÀllen zu Hilfe gerufen wurde, kam und hörte sich die Situation an, doch bevor etwas wirklich Ernstes passierte, können sie nicht eingreifen. Und das war das eigentliche Problem. Es liegt nicht an den Beamten, sondern an unserer Gesetzeslage. Frauen wie meine Freundin mussten oft erst Schlimmes erleben, bevor sie den nötigen Schutz erhielten. Der Gesetzgeber, die Behörden und die Gesellschaft insgesamt sind zu oft in einem System gefangen, das nicht rechtzeitig handelt und Frauen nicht genug Sicherheit bietet, um sich wirklich zu befreien.

Es dauerte Jahre, bis ihr Ex-Mann endlich von ihr und ihren Kindern abließ. Doch ihre Eltern fanden sich glĂŒcklicherweise recht bald damit ab, dass ihre Tochter nun eine geschiedene, alleinerziehende Mutter war. Die gesellschaftliche Stigmatisierung, die mit der Scheidung und der Rolle der Frau als alleinerziehende Mutter verbunden ist, nicht nur in unserer deutschen Gesellschaft, sondern insbesondere in den muslimischen Communities waren fast so schwierig zu ertragen als die Gewalt des Mannes selbst. Doch sie kĂ€mpfte nicht nur gegen den physischen Missbrauch, sondern auch gegen die stillen, oft unsichtbaren Barrieren, die Frauen wie sie als „gescheitert“ abstempeln.

Der Fall meiner Freundin zeigt, wie tief patriarchale Strukturen in den Gesellschaften verwurzelt sind – nicht nur in den Beziehungen, sondern auch in den Institutionen, die eigentlich dazu da sind, die SchwĂ€cheren zu schĂŒtzen. In vielen FĂ€llen wird die Gewalt gegen Frauen nicht als solches anerkannt, es wird oft „solange zugeschaut“, bis es zu spĂ€t ist. Die Entschlossenheit meiner Freundin, sich und ihre Kinder zu schĂŒtzen, war bewundernswert, aber sie ist auch ein bitterer Beweis dafĂŒr, wie weit Frauen noch gehen mĂŒssen, um sich vor einem System zu schĂŒtzen, das sie immer wieder mit solchen Konsequenzen alleine lĂ€sst.

Was braucht es, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen? Es braucht mehr als nur Gesetze, die Gewalt ahnden. Es braucht eine Gesellschaft, die Frauen nicht nur in Worte, sondern auch in Taten unterstĂŒtzt. Eine Gesellschaft, die den Blick von der Frau als „Opfer“ hin zu einer eigenstĂ€ndigen, selbstbestimmenden und achtbaren Frau verĂ€ndert.
Die Geschichte meiner Freundin zeigt, dass wir noch weit davon entfernt sind, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Frauen wirklich sicher sind, in der sie sich selbstbestimmt und ohne Angst bewegen können. Aber sie zeigt auch, dass es möglich ist, zu kĂ€mpfen, zu ĂŒberleben und letztlich die eigene Freiheit zu gewinnen – trotz all der Widrigkeiten, die einem in den Weg gestellt werden.

Alma und die zerstörerische Spirale von Gewalt und AbhÀngigkeit

Ich möchte euch von Alma erzĂ€hlen, einer Frau, die als Beispiel fĂŒr viele Frauen steht, die in der Gewaltspirale gefangen sind, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt. Der Name ist aus RĂŒcksicht auf die Betroffene geĂ€ndert, aber die Geschichte ist leider keine Seltenheit.

Alma heiratete sehr jung, noch ohne eine abgeschlossene Ausbildung und zog in den entlegenen Wohnort ihres Mannes. Das Leben schien zunĂ€chst einfach, aber auch in einer vermeintlich glĂŒcklichen Familie kann sich das Bild schnell Ă€ndern. Alma war eine kluge, junge Frau, die ihren Haushalt mit Hingabe fĂŒhrte und mit ihrem ersten Kind glĂŒcklich war. Doch schon bald begann sich das Leben von Alma zu verĂ€ndern – auf eine Art und Weise, die sie nie erwartet hĂ€tte. Ihr Mann begann, sie zu erniedrigen, zu beleidigen und schließlich körperlich zu misshandeln. Aus den anfĂ€nglichen verbalen Angriffen wurde immer hĂ€ufiger Gewalt, UnterdrĂŒckung und Isolation nahmen mit der Zeit immer mehr zu.

Manchmal sprach Alma von Trennung, davon, ihren Mann zu verlassen und ein besseres Leben fĂŒr sich und ihre Kinder zu fĂŒhren. Aber sie tat es nicht. Ihr Selbstbewusstsein war mittlerweile so geschwĂ€cht, dass sie nicht mehr an sich selbst glaubte. Sie fĂŒhlte sich machtlos, als ob die Schuld an allem, was geschah, bei ihr selbst lag. Die Gewalt, die sie erlebte, hatte sie so sehr im Griff, dass sie sich selbst nicht mehr als eine Frau wahrnahm, die in der Lage war, sich zu befreien. Ihre Gedanken drehten sich um die Angst, was passieren könnte, wenn sie einfach ging, wenn sie sich weigern wĂŒrde, weiterhin sein Opfer zu spielen.

Solche MĂ€nner sahen Frauen oft als ihren Besitz an, den sie um nichts in der Welt verlieren wollten und dementsprechend handelten sie.
Mit der Zeit kamen noch zwei weitere Kinder dazu. Alma war inzwischen in einer Falle gefangen – in einer Spirale aus Angst und Gewalt, die sie mit jedem Tag mehr in die Enge trieb. Sie hatte sich mit dem PrĂŒgeln und der emotionalen Misshandlung abgefunden, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sah. Wohin sollte sie mit drei kleinen Kindern gehen? Und was sollte sie ohne eigenes Einkommen und ohne eine sichere Grundlage tun? Sie war isoliert, unterdrĂŒckt, und die stĂ€ndige Angst, dass ihr Mann ihr oder den Kindern etwas antun könnte, hielt sie gefangen. Der Weg aus der AbhĂ€ngigkeit schien unerreichbar. Die Fesseln der Gewalt hatten sie so fest im Griff, dass sie keinen Ausweg mehr zu sehen vermochte.
Almas Geschichte ist die Geschichte vieler Frauen, die in einem Teufelskreis aus Gewalt und Angst gefangen sind. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich selbst nicht mehr vertraut und sich in einer Situation wiederfindet, aus der sie glaubt, nicht mehr herauskommen zu können. Die Gewalt ist nicht nur körperlich, sondern auch emotional und psychisch, und sie zielt darauf ab, das Opfer immer weiter in die Isolation zu treiben. In vielen FĂ€llen sind es nicht nur die Ă€ußeren Bedingungen, die Frauen in dieser Art von Beziehung festhalten, sondern auch tief verwurzelte gesellschaftliche und patriarchale Strukturen, die ihnen den Glauben an ihre eigene StĂ€rke rauben und sie in einer AbhĂ€ngigkeit festhalten, die oft Jahrzehnte andauern kann.

Der emotionale Missbrauch, den Alma erlebte, ist genauso zerstörerisch wie die körperliche Gewalt, denn er zermĂŒrbt die Seele und zerstört das SelbstwertgefĂŒhl der Frau. Nicht selten verharren sie sowohl in einer finanziellen wie emotionalen AbhĂ€ngigkeit von ihrem Peiniger, der sie glauben lĂ€sst, dass sie keinen Anspruch auf ein Leben ohne ihn und ohne Gewalt hat. Es sind die stĂ€ndigen Drohungen, die subtile Manipulation und die Andeutungen, dass sie selbst an allem schuld sei, die ihr jeglichen Mut und jede Kraft rauben.
Doch gerade diese Geschichten machen deutlich, wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft hinhören und hinsehen. Wir mĂŒssen Wege finden, die es TĂ€tern unmöglich machen, ihre Macht ĂŒber ihre Opfer zu erhalten, und wir mĂŒssen dafĂŒr sorgen, dass Frauen wie Alma nicht allein gelassen werden. Der Weg aus der Gewalt ist niemals einfach, aber er ist möglich – und er beginnt mit der UnterstĂŒtzung durch das Umfeld und der rechtlichen und gesellschaftlichen VerĂ€nderung. Es muss gewĂ€hrleistet werden, dass Frauen nicht erst in akuter Gefahr sein mĂŒssen, um Hilfe zu erhalten. Es braucht ein Umfeld, das den Teufelskreis stoppt und Frauen mit den notwendigen Ressourcen und dem Mut unterstĂŒtzt, sich aus den FĂ€ngen von Missbrauch und Gewalt zu befreien.

Es ist an der Zeit, dass wir nicht nur als Einzelpersonen, sondern als Gesellschaft Verantwortung ĂŒbernehmen und gemeinsam daran arbeiten, Frauen wie Alma einen Weg aus der Gewalt zu zeigen – und ihnen das GefĂŒhl zu geben, dass sie die Möglichkeit haben, zu leben, ohne Angst zu haben.

Emmas Geschichte

Emma war eine junge, lebenslustige, fröhliche Frau, mitten in er Ausbildung, die ihren Tanz und die Freiheit liebte. Sie konnte einen ganzen Saal mit ihrem Charme, ihrem Lachen und ihrer Energie bezaubern. Doch ihre Lebensfreude wurde zerstört, als sie Daniel kennenlernte, einen Mann, der ihr anfangs wie der Traum von einem Partner erschien. Er fuhr ein Cabrio, machte mit ihr viele AusflĂŒge und zeigte ihr das Leben von seiner besten Seite. Emma fĂŒhlte sich geliebt und begehrt.

Von Anfang an hatte ich ein ungutes GefĂŒhl bei Daniel. Auch ihre Eltern waren skeptisch und warnten sie, selbst ihrem Chef war Daniel suspekt. Doch Emma hörte nicht auf uns. Als sie ihn schließlich heiratete, strahlte sie wie nie zuvor, aber ihr GlĂŒck war nur von kurzer Dauer. Denn Daniel zeigte sein wahres Gesicht erst nach der Hochzeit: er war gewalttĂ€tig, besonders wenn er trank. Und das tat er immer öfter. Immer wieder schlug er Emma. Ihr Körper zeigte die Spuren dieser Gewalt, aber sie konnte und wollte es niemandem erzĂ€hlen. Mit der Zeit wurde ihre Welt immer kleiner, Treffen mit ihren Eltern fanden nur noch heimlich statt und die Beziehung zu mir wurden immer seltener.

Wir versuchten ihr zu helfen und ihr klarzumachen, dass sie diesem Mann entkommen sollte. Doch Daniel war ein Meister der Manipulation. Mit leeren Versprechungen, dass er sich Ă€ndern wĂŒrde, dass es nie wieder passieren wĂŒrde und dass er sie doch ĂŒber alles liebte, schaffte er es immer wieder, Emma zu halten. Sie war gefangen in einem Netz aus Liebe und Angst, und je mehr wir versuchten, ihr zu helfen, desto mehr schloss sie sich von uns ab.

Obwohl Emma einen stabilen Beruf ausĂŒbte, der sie finanziell unabhĂ€ngig machte, war sie von Daniel emotional abhĂ€ngig. Ihr Beruf als Arzthelferin war von Respekt und Anerkennung geprĂ€gt, sie war kompetent und geachtet. Doch das reichte nicht aus, um sich von seiner Gewalt zu befreien. Sie hatte es nur fĂŒr wenige Monate geschafft, sich von ihm zu trennen. Aber Daniel fand wieder Wege, sie mit seinen Versprechungen und LĂŒgen zurĂŒckzugewinnen. Wir waren alle entsetzt, als sie zu ihm zurĂŒckkehrte.

Es dauerte Jahre, bis Emma endlich eine endgĂŒltige Entscheidung traf. Der Wendepunkt kam, als Daniel in einem Wutausbruch Geschirr auf ihr zerschlug, sie mit einem Messer verletzte und sie fast halbtot schlug. Erst nach einem lĂ€ngeren Krankenhausaufenthalt, der daraufhin folgte, konnte Emma sich endgĂŒltig von ihm trennen.

Die Scheidung war dann aber auch kein einfacher Prozess. Es wurde zur reinsten Schlammschlacht, in der Daniel versuchte, sie in der Öffentlichkeit zu demĂŒtigen und zu zermĂŒrben. Aber dieses Mal hielt Emma durch. Sie wusste, dass sie nie wieder in diese Gewalt zurĂŒckkehren wollte.

Nach der Scheidung fragte sie sich immer wieder, warum sie so lange gewartet hatte, um sich zu befreien. Die Gewalt in solchen Beziehungen ist nicht nur physisch, sondern auch psychisch und emotional. Es ist die stĂ€ndige Manipulation, die das SelbstwertgefĂŒhl der Betroffenen untergrĂ€bt und sie glauben lĂ€sst, dass sie es nicht besser verdienen oder nicht alleine ĂŒberleben können.

Emmas Geschichte ist ein erschĂŒtterndes Beispiel fĂŒr die vielen Frauen, die in toxischen Beziehungen gefangen sind. Sie zeigt, wie gefĂ€hrlich und zerstörerisch die Kombination von emotionaler Manipulation und körperlicher Gewalt sein kann. Und sie zeigt uns auch, wie schwierig es ist, sich aus einer solchen Beziehung zu befreien – selbst wenn man theoretisch die Mittel und Möglichkeiten hat. Denn der Weg zur Freiheit ist nicht nur der Weg des Aufhörens, sondern auch der Weg des Wiederaufbaus des eigenen Selbstwerts und der RĂŒckgewinnung des eigenen Lebens.

Was wir aus Emmas Geschichte lernen sollten, ist die Erkenntnis, dass Gewalt nie nur ein „privates“ Thema ist. Die Gesellschaft hat die Pflicht, Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich aus diesen Spiralen zu befreien. Es braucht mehr als nur die Bereitschaft von außen, den Betroffenen zu helfen – es braucht auch ein gesellschaftliches Umdenken, dass Frauen in gewalttĂ€tigen Beziehungen nicht als „schuld“ an ihrer Situation betrachtet werden. Frauen wie Emma verdienen UnterstĂŒtzung, Respekt und eine Gesellschaft, die sie nicht nur aufhört zu verurteilen, sondern aktiv dafĂŒr sorgt, dass sie sich aus solchen Situationen befreien können.

Der Weg zu Gleichstellung

Aufbrechen patriarchaler Strukturen und das Ende der Gewalt

Die Geschichten, die wir heute geteilt haben, sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der RealitĂ€t von unzĂ€hligen Frauen, die Gewalt und Ungleichbehandlung in unterschiedlichsten Formen erfahren. Sie spiegeln das, was wir im Alltag oft nicht sehen wollen oder uns nicht eingestehen – die alltĂ€gliche Gewalt, die Frauen unter patriarchalen Strukturen ertragen mĂŒssen, und die endlosen KĂ€mpfe um Selbstbestimmung und Gleichwertigkeit.

Was all diese Geschichten gemeinsam haben, ist nicht nur die Gewalt, die diesen Frauen angetan wurde, sondern auch der tiefe Einfluss patriarchaler Normen und Erwartungen, die sie in einem Netz von AbhĂ€ngigkeit, Scham und Isolation fangen. In einer Welt, die Frauen immer noch oft auf ihre Rolle als „das schwĂ€chere Geschlecht“ reduziert, sind ihre Stimmen und Erfahrungen leicht zu ĂŒberhören, oder, noch schlimmer, zu ignorieren.

Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft nicht lĂ€nger wegsehen. Die Aufarbeitung dieser Geschichten ist nicht nur eine Aufgabe der betroffenen Frauen, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Politik, die Institutionen, die Gesellschaft als Ganzes mĂŒssen sich dazu verpflichten, den Weg fĂŒr echte Gleichstellung zu ebnen und patriarchale Strukturen, die diese Ungleichheit fördern, zu zerschlagen.

Gleichstellung ist mehr als nur ein theoretisches Konzept. Sie bedeutet echte VerĂ€nderung: Gleiche Chancen, gleiche Rechte und vor allem gleiche Sicherheit. Es bedeutet, dass Frauen nicht lĂ€nger als „potenzielle Opfer“ in einer Welt leben mĂŒssen, die ihnen Tag fĂŒr Tag sagt, dass sie nicht sicher sind, dass sie immer auf ihren Schutz angewiesen sind, oder dass sie sich in stĂ€ndiger Gefahr befinden. Es bedeutet, dass Frauen die Freiheit haben, ihre Entscheidungen unabhĂ€ngig zu treffen, ohne von patriarchalen Normen und Rollenbildern gefangen zu sein.

Gleichstellung bedeutet nicht nur gleiche Rechte in der Theorie, sondern auch der praktische Zugang zu Sicherheit, Wohlstand, UnabhĂ€ngigkeit und einem Leben ohne Gewalt. Es bedeutet, dass wir eine Kultur der UnterstĂŒtzung schaffen mĂŒssen, die Frauen hilft, sich zu befreien, sich zu erheben und die volle Kontrolle ĂŒber ihr Leben zurĂŒckzugewinnen. Wir brauchen eine Gesellschaft, die nicht nur in ihren Worten, sondern auch in ihren Taten Frauen unterstĂŒtzt, die sich aus gewalttĂ€tigen Beziehungen befreien wollen, die ihre Stimmen hören lĂ€sst und sicherstellt, dass ihre Geschichten nicht weiterhin nur in den Schatten gestellt werden.

Patriarchale Strukturen sind nicht die unverÀnderliche Natur unserer Gesellschaft, sondern das Ergebnis von jahrhundertelanger PrÀgung und Tradition. Es ist an der Zeit, diese Strukturen zu hinterfragen und aufzubrechen. Die Kraft, dies zu tun, liegt in unserer kollektiven Verantwortung. Es liegt an uns, als Gesellschaft, als Gemeinschaft, als Partner und als Freunde der Frauen, diese VerÀnderungen zu ermöglichen.

Lasst uns gemeinsam fĂŒr eine Welt kĂ€mpfen, in der Frauen nicht nur gleichberechtigt, sondern gleichgestellt sind. Eine Welt, in der Gewalt keinen Platz mehr hat, und in der jede Frau die Freiheit hat, ihr Leben ohne Angst und in voller Selbstbestimmung zu leben. Denn erst wenn wir wirklich gleichgestellt sind, können wir wahre Gleichheit erleben – in einer sicheren, gerechten und gleichwertigen Gesellschaft fĂŒr alle.

Es gibt mehrere gesetzliche und internationale Vereinbarungen zur Gleichstellung von Frauen und MĂ€nnern, darunter:

  • Grundgesetz (Artikel 3, Abs. 2 GG) – „MĂ€nner und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsĂ€chliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und MĂ€nnern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
  • Gleichstellungsgesetze der LĂ€nder – Regelungen fĂŒr den öffentlichen Dienst zur Förderung der Gleichstellung.
  • Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) – Fördert die Gleichstellung von Frauen und MĂ€nnern in der Bundesverwaltung.
  • EU-Gleichstellungsrichtlinien – Verpflichten Mitgliedsstaaten, Gleichstellung aktiv umzusetzen.
  • UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) – Verpflichtet Deutschland international zur Gleichstellung.

Trotz dieser Regelungen bleiben strukturelle HĂŒrden bestehen, weil Gleichstellung oft nicht konsequent umgesetzt oder kontrolliert wird. Papier allein verĂ€ndert nichts – es braucht echten politischen Willen und Maßnahmen, um diese Versprechen endlich in RealitĂ€t zu verwandeln.

*Die Namen in diesem Blogtext wurden zum Schutz der betroffenen Persönlichkeiten geÀndert.

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