Wir brauchen keine Partei, die unsere Geschichte vergessen will

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Alexander Gauland will unsere Vergangenheit zurückholen und reiht sich mit einer weiteren Rede in die verbalen Entgleisungen von AfD-Mitgliedern ein. Es ist nur noch eine Woche bis zur Wahl – hoffentlich merken viele Menschen noch rechtzeitig, was eine starke AfD im Bundestag für unsere Gesellschaft bedeuten würde.

Eine Rede von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland beim „Kyffhäuser-Treffen“ der AfD in Thüringen macht gerade Schlagzeilen in den Medien. Mit Blick auf den Nationalsozialismus sagte Gauland: “Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“ Und weiter: Wenn Franzosen und Briten stolz auf ihren Kaiser oder den Premier Winston Churchill seien, hätten wir auch “das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.

Der AfD sind alle Mittel recht

Vergangenheit zurückholen? Stolz auf die Wehrmacht unter Hitler? Welche Entgleisung braucht es noch, damit Menschen das wahre Gesicht dieser Partei erkennen? Zumindest auf “einzelne Querköpfe” unter den Mitgliedern kann man es ja nun beim besten Willen nicht mehr schieben – Gauland ist Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl und genießt breiten Rückhalt quer durch die Partei.

Der AfD sind alle Mittel recht, selbst das Paktieren mit dem äußeren rechten Rand. Ausgerechnet Leuten wie Björn Höcke, der eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur forderte, wird durch Äußerungen wie der von Gauland weiter der Rücken gestärkt. Die AfD zeigt, dass sie kein Interesse hat, sich von rechter Ideologie zu distanzieren, mehr noch: Sie hat sie verinnerlicht und nutzt sie, um Stimmen aus dem rechtsextremen Lager zu bekommen.

Beim Blick auf die Zeit der Weltkriege sollten wir vor allem Verantwortung verspüren – Verantwortung dafür, dass sich solche Taten niemals wiederholen dürfen. Und wenn wir stolz auf damalige Akteure sein wollen, dann zum Beispiel auf die Geschwister Scholl und andere Held/innen des Widerstands.

Hass und Hetze im Herzen unserer Demokratie

Die AfD bemüht wieder mal ihre bekannte Strategie der „sorgfältig geplanten Provokation”: skandalisieren, relativieren und wieder attackieren. Es gehört zum Kalkül der AfD, mit solchen Aussagen Medienaufmerksamkeit zu erzielen, weil sie derart provozieren und von großen Teilen der Bevölkerung zu Recht abgelehnt werden.

Sollte man deshalb besser schweigen und den Äußerungen Gaulands nicht noch mehr Aufmerksamkeit bescheren? Kann man so sehen – aber ich persönlich fände das falsch. In Umfragen kommt die AfD gerade auf zehn bis zwölf Prozent und könnte damit drittstärkste Fraktion im Bundestag werden.

Ich finde es deshalb wichtig, dass wir jede Möglichkeit nutzen, um über alle Kanäle und in persönlichen Gesprächen deutlich zu machen, was eine starke AfD im Bundestag für unsere Gesellschaft bedeutet. Es bedeutet, dass es noch schwieriger wird, unsere offene und pluralistische Gesellschaft gegen Abschottung und Nationalismus zu verteidigen. Es bedeutet, dass viele Menschen, die nicht dem AfD-Bild von “richtigen” Deutschen oder von “richtigen” Familien entsprechen, sich mehr Sorgen um ihre Zukunft machen müssen. Es bedeutet, dass sich Hass und Hetze im Herzen unserer Demokratie ausbreiten können.

Es muss endlich um die großen Fragen unserer Zeit gehen

Der Wahlkampf hat schon gezeigt, wie es der AfD gelingt, die öffentliche Debatte insgesamt nach rechts zu verschieben. Trauriger Höhepunkt war das TV-Duell, bei dem es fast ausschließlich um die Asylpolitik ging. Im Mittelpunkt standen aber fast wie selbstverständlich nicht die Menschenrechte, die Sicherheit und das Leid der Geflüchteten, sondern die Frage, wie wir die Grenzen Europas bestmöglich dicht machen und wie das mit der Abschiebung endlich besser klappen kann.

Natürlich muss sich vieles ändern in der Politik. Die Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit vieler Menschen kommt nicht von ungefähr. Doch die AfD ist nicht mehr als ein Blitzableiter für den angestauten Frust der Menschen – sie bietet keine Lösungen für eine zukunftsorientierte und gerechte Gesellschaft.

Es muss endlich um die großen Fragen unserer Zeit gehen – um Bildung, um den Umwelt- und Klimaschutz, um die Digitalisierung, um soziale Gerechtigkeit, Gesundheit, Pflege und vieles mehr. Dafür brauchen wir keine Partei, die unsere Geschichte vergessen will und unsere Zukunft im Vorgestern sieht.

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