Fortsetzung der Diskussion von Reform des Geldsystems und Förderung von Regionalgeldinititaiven:
ja, man kann nicht mehr einfach ein Stück Land besetzen. Das ist in Mitteleuropa allerdings schon seit Jahrhunderten so, vielleicht sogar seit Jahrtausenden.
David Graeber und David Wengrow stellen in „Anfänge“ drei zentrale Freiheiten vor, die sie als menschliche Grundfreiheiten ansehen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) und die heute weitgehend verloren sind.
- Die Freiheit zu gehen und anderswo willkommen geheißen zu werden. Ohne Letzteres ist das Recht auf freie Bewegung nämlich nichts wert, denn Menschen brauchen eine Gemeinschaft zum Leben.
- Die Freiheit, willkürlichen Befehlen keine Folge zu leisten
- Die Freiheit, das gesellschafliche Zusammenleben neu zu denken und neu zu gestalten.
Diese Freiheiten bedingen sich gegenseitig und sie sind ein starker Kontrast zu dem heute fast ausschließlich individuell verstandenen Begriff von Freiheit. Wengrow hat in einem Interview auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie dies als kollektive Freiheiten sehen und sie dem heute dominanten individuell verstandenen Freiheitsbegriff entgegensetzten. Rein individuell verstandene Freiheit sei nicht weit entfernt von Mikro-Formen von Herrschaft.
Mit anderen Worten: Freiheit, rein individuell verstanden führt letztlich zum Recht des Stärkeren. Das scheint mir ein Schlüssel dafür zu sein, dass Freiheit zur Floskel des Jahres gekürt wurde.
Diese kollektiv verstandene Freiheit eröffnet aber auch einen Ausweg aus dem Widerspruch zwischen der Freiheit des Einzelnen und der aller übrigen. Freiheit kann nicht bedeuten, dass jeder machen kann was er oder sie will, denn das gefährdet die Freiheit der anderen.
Wenn ich aber gezwungen bin, mich als Kuli zu verdingen, dann bin ich nicht mehr frei (oder nur noch sehr bedingt), weil ich letztlich einen Teil meiner Freiheit verkaufen muss, um zu überleben. Was der Kapitalismus verspricht ist eine rein nominelle Form von Freiheit: De jure bist zu frei, aber nur damit du de facto genötigt bist, deine Freiheit zu verkaufen. Die komplexen sozialen Beziehungen, Pflichten, Abhängigkeiten (die wohl kaum jemand zurück haben möchte) des Feudalismus werden abgelöst von einer einzigen Form, die über Geld vermittelt wird (und wegdefiniert wird).
Fortan ist jede und jeder gezwungen, zu Geld zu kommen, und wenn es bedeutet die Welt zu verkaufen. Genau das ist es, was passiert: Wir verkaufen in Summe die gesamte Erde, das gesamte Leben, machen alles zur Ware, weil wir vom Geld leben, auch wenn man das in Wirklichkeit nicht essen kann. Eines der stärksten Narrative, die diesen Zustand rechtfertigen ist das der Freiheit, die uns dieses System angeblich verschafft. Und daher nenne ich dies eine armselige Freiheit.
Wir haben die persönlichen Herrschaftsbeziehungen des Feudalismus durch die unpersönliche des Geldes ersetzt. Jetzt sind es diejenigen, die irgendwie zu Geld gekommen sind (durch Erbe, Verbrechen, Glück, Geschäfte o.ä.) die die Welt nach ihren Wünschen formen können, und nicht mehr (nur) diejenigen, die einen adligen Titel geerbt haben.
Es war richtig, die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse des Feudalismus zu überwinden, aber daraus kann man nicht schließen, dass automatisch etwas besseres gefolgt wäre. Das der Feudalismus den Menschen eine Menge Pflichten auferlegt hat ist richtig (wenn dies auch bei weitem nicht so allumfassend war wie manche meinen). Aber Menschen haben Pflichten, ohne die kann es keine Gemeinschaft geben, und die brauchen Menschen nun mal.
Was kann man als Utopie entwerfen, wenn man weder die persönlichen Abhängigkeiten des Feudalismus noch die Pseudofreiheiten des Kapitalismus besonders befriedigend findet? Mit Graeber und Wengrow würde ich vorschlagen: Die Freiheit, die Abhängigkeiten und Pflichten, die zum Leben dazugehören selbst zu gestalten. Das würde bedeuten, die drei Grundfreiheiten wieder zu verwirklichen.
Es eröffnet eine Perspektive neben der Unterwerfung unter die Adligen und der Unterwerfung unter das Geld. Statt als Kuli zu arbeiten könnten wir Menschen suchen, mit denen wir gut zusammenarbeiten können und gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Das ist letztlich die Idee hinter Commons. Wenn wir in einem Commons zusammen unsere wirtschaftliche Basis haben, die wir selbst gestaltet haben, sind wir dann nicht erst wirklich frei?
Diese Freiheit hat zur Voraussetzung, dass diese Gruppe(n), der wir angehören müssen um zu leben, sich nicht in eine tyrannische Herrschaft verwandelt. Dafür ist die Freiheit wichtig, gehen zu können im Vertrauen darauf, dass eine andere Gruppe einen aufnimmt.
Natürlich hat diese Freiheit auch zur Voraussetzung, dass wir die derzeitigen Schranken, die die derzeitigen Herrschaftsverhältnisse setzen überwinden. Das wird ohne Kampf nicht möglich sein. Der Kampf beginnt aber im Kopf, mit den Narrativen.
Geld würde in einer solchen Welt nicht unbedingt abgeschafft sein. Es könnte immer noch der Verrechnung im Austausch zwischen verschiedenen Commons dienen. Aber mit Sicherheit würde es nicht mehr die beherrschende Rolle haben, die es heute hat.