Fortsetzung der Diskussion von Ist Kritik an einer Regierung Israels gleichzusetzen mit Antisemitismus?:
Nein, mit Sicherheit nicht. Weil das ganze so hoch emotional ist möchte ich mal mit einem anderen Konflikt darauf antworten (vorsicht: lang!). Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie folgt immer wieder den gleichen Mustern. Es geht um den Nordirland-Konflikt, und bei allen Unterschieden gibt es doch einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Dieser Konfliktherd ist heute weitgehend friedlich, wie kam es dazu?
1993 explodierte in Belfast eine Bombe der katholischen IRA und tötete den Bombenleger sowie neun Zivilisten, 58 Menschen wurden verletzt. Eine ungeheuerliche Bluttat, einfach so, die Getöteten starben nur, weil sie Protestanten waren. Oder steckte doch mehr dahinter?
Der Haß und die Entfremdung zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland saß tief. So tief, dass Kinder, die von Friedensaktivisten in gemeinsamen Ferienlagern zusammengebracht wurden vollkommen überrascht waren, dass die Kinder der anderen Konfession ihnen so unglaublich ähnlich waren.
Die Band von Paul McCartney, „Wings“ veröffentlichte nach dem Bloody Sunday das Lied „give Ireland back to the irish“. Es wurde im Radio nicht gespielt, was die Verkaufszahlen der Single explodieren ließ. McCartney wurde angefeindet, und der Bruder des Gitarristen wurde in einem Irish Pub in London verprügelt.
Woher dieser unglaubliche Hass zwischen den Konfessionen?
Zu Beginn des Mittelalters (4./5. Jahrhundert) wurde Irland christianisiert. Es bestand aus zahlreichen Kleinkönigreichen, die 5 größeren Königreichen unterstanden. Es gab auch einen Hochkönig für die gesamte Insel, der meist jedoch kaum Macht hatte.
Ab dem 9. Jahrhundert spielten in diesem politischen Mosaik auch die Wikinger eine Rolle, die permanente Siedlungen (z.B. Dublin) gründeten.
Der Streit zweier irischer Könige brachte dann die Anglo-Normannen ins Spiel, nachdem einer der beiden bei Heinrich dem II in England um Unterstützung gebeten hatte.
Abstammung oder ähnliches spielte hier also offenbar keine Rolle in politischen Entscheidungen, es ging um Macht. (Irland war schon damals ein Potpurri aus Menschen verschiedener Herkunft und Kultur, was übrigens auf nahezu jeden Landstrich der Erde zutreffen dürfte). Das Ergebnis war allerdings, dass sich Heinrich II. 1171 zum König von Irland erklärte und Land an anglonormannische Adlige verteilte (was sicher Widerstand der einheimischen Adligen hervorrief). Diese Eroberung ging vom Osten der Insel aus und beschränkte sich auf den Austausch der Führungsschicht.
Naturgemäß kamen die Normannen von Osten, aus England, und im Westen konnten sich irische Fürstentümer halten, und Ende des 13. Jahrhunderts entstand daraus eine irische Bewegung, die militärische Erfolge gegen die Normannen verbuchen konnte.
1531 spaltete sich die anglikanische Kirche von der katholischen ab. Hauptgrund war der Ärger von Heinrich VIII. mit dem Papst, der seine Ehe nicht annulieren wollte. Oberhaupt der neuen Kirche war praktischerweise der König selbst. Religion war also fortan Mittel der Politik, was sich gleich zeigen sollte. Einziger legitimer Sohn Heinrichs war Eduard, der jedoch jung starb. Ihm folgten zwei Halbschwestern auf dem Thron.
Die erste Thronerbin war Maria, Tochter von Katharina von Aragon, die versuchte den katholischen Glauben wieder durchzusetzen. Beerbt wurde sie dann von ihrer Halbschwester Elisabeth, die das ganze wieder rückgängig machte.
Irland war in dieser Zeit geprägt von wiederholten irischen Aufständen und deren Niederschlagung. Die Iren waren aber keine geeinte Nation, sondern bestanden aus zahlreichen Clans mit unterschiedlichen Interessen.
Einer der größeren fand im Norden statt. Der englische Kommandeur ließ die Ernte vernichten, um der irischen Armee ihre Nahrungsgrundlage zu entziehen. Dies wird wohl kaum zur Unterstützung der Engländer durch die Bevölkerung beigetragen haben. Der Aufstand endete 1609 mit einem Waffenstillstand. Zahlreiche Adlige verließen daraufhin das Land, weitere Großgrundbesitzer wurden enteignet. Die frei gewordenen Güter wurden natürlich mit Engländern besetzt, die ja inzwischen Anglikaner waren, aber auch presbyterianische Schotten bekamen Ländereien.
Dabei befand sich Schottland, mit ebenfalls keltischen Wurzeln, in einer ähnlichen kolonialen Abhängigkeit von England wie Irland. Ethnische oder religiöse Zugehörigkeit oder die Solidarität zwischen Unterdrückten spielen also oft keine Rolle in den Entscheidungen von Menschen, sie lassen sich allerdings sowohl für Unterdrückung als auch für die Motivation zum Widerstand nutzen.
Für die katholische Bevölkerung Irlands sowie für die katholischen Nachkommen der anglonormannischen Adligen waren also die Protestanten Eroberer. Damit war die Kodierung dieses Konflikts zwischen Kolonisierten und Eroberern in religiösen Formeln vorprogrammiert. Die Rede von der Kolonie Irland ist übrigens sehr real, viele der englischen Akteure der Kolonisierung Amerikas hatten vorher Erfahrungen in Irland gesammelt und die spätere Behandlung der großen irischen Hungersnot durch England ähnelt jener, die in Indien bei zwei Hungersnöten für Millionen von Toten gesorgt hat.
Im Jahr 1642 kam es in England zum Bürgerkrieg. Das englische Parlament hatte bereits seit Jahrhunderten gewisse Mitspracherechte, aber die Zeit absolutistischer Herrscher war gekommen, und der englische König wollte dem nicht nachstehen. Auch hier war wieder Religion im Spiel. Der König betrachtete sich als gottgewollt. Die inzwischen entstandenen Puritaner wollten kein Gottesgnadentum akzeptieren.
Das Parlament setzte sich natürlich aus Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen zusammen. Es versuchte außerdem, seine Rechte zu verteidigen und eine absolutistische Herrschaft zu verhindern. Die anglikanischen Bischöfe verdammten die katholische wie die puritanische Lehre. Das ganze wurde immer komplizierter, aber hinter der Religion waren immer auch handfeste Machtinteressen erkennbar.
Als die anglikanischen Bischöfe versuchten, auch das weitgehend presbyteriansiche Schottland der anglikanischen Kirche einzuverleiben kam es dort zum Aufstand, den der König Karl I. versuchte militärisch niederzuschlagen, erfolglos. Das Parlament war nicht erfreut ob seines Vorgehens.
Die irischen Katholiken befürchteten nun ihrerseits eine gewaltsame Anglikanisierung und rebellierten 1641. Dieser Rebellion fielen mehrere tausend englische und schottische Siedler zum Opfer. Ja, auch schottische Siedler, dabei waren es ja die Schotten gewesen, die als erste den Aufstand gegen die Anglikaner gewagt hatten. Solche Katastrophen bleiben im kollektiven Gedächtnis und können bei Bedarf wieder hervorgeholt werden, auch Jahrhunderte später.
Die Königstreuen schlossen sich 1642 in der Confederation of Kilkenny zusammen, darunter waren Katholiken aber auch königstreue englische Siedler, 1648 schlossen sich auch presbyterianische Schotten an. Inzwischen war der König aber vom Parlament besiegt und hingerichtet worden, die Zeit Oliver Cromwalls brach an. Der irische Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, mit Massakern an der Bevölkerung ganzer Städte.
Viele gälischstämmige Grundbesitzer wurden in der Folge enteignet, Gefangene als Sklaven verkauft. Gälischstämmige Iren durften sich nur noch im Nordwesten, in Connacht, ansiedeln („to hell or to Connaught“). Da England Probleme hatte, seine Soldaten zu besolden, entschädigte es sie mit irischem Land. Diese, meist Puritaner, siedelten sich vorwiegend in Ulster an, dem späteren Nordirland. Wir erinnern uns: Das war die Region in der auch schon vorher die protestantischen Siedler angesiedelt worden waren.
Nach Wiederherstellung der Monarchie bekannte sich Jakob II. zum Katholizismus. Das gefiel dem Parlament gar nicht, das seinen Schwiegersohn Willhelm von Oranien gegen ihn ansetzte. Jakob wiederum suchte Unterstützung in Irland. Der siegreiche Wilhelm III. bestrafte die irischen Katholiken mit diskriminierenden Gesetzen.
Nach großen Aufständen in Irland wurde es 1801 offiziell Großbritannien eingegliedert. Wie bereits erwähnt wurde Irland ähnlich behandelt wie andere Kolonien, sprich: Seine Wirtschaft wurde den Interessen Englands untergeordnet. Wie in England selbst kam es natürlich auch in Irland zur Zerschlagung der feudalen Strukturen und zur „Befreiung“ der Bauern, die sie allerdings sofort wieder in eine Abhängigkeit als Pächter stürzte. Die Folge war, dass sie gezwungen waren, den Pachtzins zu erwirtschaften und für sich selbst meist nur ein kleines Stück Land bebauen konnten. Die einzige Pflanze, die in der Lage war auf einer so kleinen Parzelle eine Familie zu ernähren war die Kartoffel.
Das ging so lange gut, bis die Kartoffelfäule, eine Pilzkrankheit, 1846 Irland erreichte. Liberale Überzeugungen des Laissez-faire führten zu einer Wirtschaftspolitik, die sich im Verlauf der folgenden Hungerjahre immer mehr von Hilfeleistungen distanzierte und die Hungernden ihrem Schicksal überlies, angeblich sogar in deren eigenem Interesse, um sie zu wirtschaftlicher Tätigkeit zu drängen. Immerhin wurde in Irland nicht wie in Indien private Hilfe sogar unter Strafe gestellt.
Etwa 1 Million Iren verhungerten zwischen 1846 und 1849, weit über eine Million wanderten aus, was auch nach Ende der Hungersnot anhielt. 1845 hatte Irland 8,5 Millionen Einwohner, 1870 waren es nur noch 5,5 und die alte Zahl wurde erst im 20. Jahrhundert wieder erreicht.
Arme Pächter wurden massenweise von ihrem Land vertrieben, wenn sie die Pacht durch eine Missernte nicht zahlen konnten. Katholiken waren auch weiterhin diskriminierenden Gesetzen unterworfen, konnten z.B. keine Abgeordneten werden. Diese Gesetze wurden zwar nach und nach gelockert, die Spaltung zwischen den Religionen blieb aber, zahllose Aufstände hinterließen der irischen Kultur „Helden“ wie Wolfe Thone oder Daniell O’Connell, die Freunden irischer Musik hin und wieder begegnen dürften.
Dann brach der 1. Weltkrieg aus. In dessen Windschatten planten einige unbedeutende Gruppen den Osteraufstand von 1916. Dieser hatte wenig Rückhalt in der Bevölkerung, Irland war mit Soldaten an Englands Einsätzen im Krieg beteiligt und der Aufstand wurde daher von vielen als Verrat empfunden. Trotzdem gelang es den Aufständischen, einige Gebäude in Dublin zu besetzen und einige Tage zu halten.
England reagierte hart und militärisch. Etwa 1200 Aufständischen standen über 4500 Soldaten sowie schweres Gerät gegenüber. Die aufständischen irischen Nationalisten waren übrigens sehr links, oft antikapitalistisch, eingestellt und kamen aus dem Arbeitermilieu.
Der Aufstand verlief ausgesprochen blutig. Auch wenn der irische Befehlshaber James Connolly verhindern konnte, dass die Iren Plünderer erschossen, wurde wenig unternommen um Zivilisten zu schützen, vor allem auch von Seiten der britischen Armee.
Am 3. Tag des Aufstandes traf Unterstützung aus England ein. Die Aufständischen, die sich fortan Irish Republican Army nennen sollten, trugen keine Uniformen. Daher begannen die Engländer, willkürlich männliche Iren zu erschießen.
Die Briten gingen mit Bomben vor, vor allem gegen das Hauptpostamt, die Zentrale der Rebellen. Dublin brannte, die Feuer waren außer Kontrolle. Am Freitag schließlich kapitulierten die Rebellen bedingungslos, England hatte den Krieg gewonnen und den Feind militärisch abschließend besiegt. Wirklich?
Die Anführer des Aufstandes wurden schnell und geheim vor ein Kriegsgericht gestellt und hingerichtet. Als die Hinrichtungen bekannt wurden brach eine Welle der Empörung los. Die Proteste in Irland und Europa verhinderten weitere Hinrichtungen.
1918 erlangte die Unabhängigkeitspartei Sinn Fein 73 der 106 irischen Parlamentssitze. 1919 trat ein irisches Nationalparlament zusammen, das von England aber nicht anerkannt wurde. Daraufhin begann der Unabhängigkeitskrieg, der 1921 mit dem anglo-irischen Vertrag endete. Dieser gestattete dem irischen Freistaat weitgehende Autonomie, 6 Grafschaften aus Ulster wurden durch einen Volksentscheid zu Nordirland und bekamen eine eigene Autonomieregierung.
Nun war Irland geteilt. Die Grafschaften, die zu Nordirland wurden, hatten zwar eine protestantische Mehrheit, aber eben auch eine katholische Minderheit, die der katholischen Republik Irland (ab 1949 voll selbständig) zugeneigt war. Außerdem erhob die Verfassung der Republik Anspruch auf die gesamte Insel.
Die Protestanten wiederum befürchteten, von der katholischen Republik geschluckt zu werden und begannen, die nordirischen Katholiken mit Repressionen zu überziehen. Die Unionisten (die für die Union mit Großbritannien waren) versuchten, immer mehr Einfluss zu sichern, z.B. durch Gestaltung der Wahlkreise und Einführung des Mehrheitswahlrechts. Katholiken wurden in Nordirland bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen diskriminiert. Die Kirchen sorgten für eine konfessionelle Trennung der Schulen.
In den 1950ern kam es zu ersten Anschlägen der IRA, die jedoch zerstritten war und kaum Rückhalt genoss. 1966 formierte sich dann die 1912 gegründete Ulster Volunteer Front (UVF) neu, die Kampagnen der IRA anlässlich des 50. Jahrestags des Osteraufstandes befürchteten. Nach einem Brandanschlag, für den die UVF die IRA verantwortlich machte erklärte sie ihr den Krieg.
Die UVF erschoss einige Katholiken und verübte einen Anschlag auf die Elektrizitätswerke, den sie der IRA in die Schuhe schieben wollte, um Stimmung gegen diese zu machen.
In den 60ern formierten sich Bürgerrechtsbewegungen, die gegen die Ungerechtigkeiten kämpften und von Mitgliedern beider Konfessionen getragen wurden.
1969 wurden Protestmärsche von Katholiken brutal niedergeknüppelt. Tatsächlich hatten sie sich teilweise über Demonstrationsverbote hinweggesetzt, waren aber friedlich. Die polizeilichen Übergriffe blieben ohne juristische Folgen.
Zugeständnisse an die Bürgerrechtler erregten erbitterten Widerstand der Unionisten. Diese gingen auch dazu über, Protestmärsche anzugreifen, in der Regel ohne ein Eingreifen der Polizei befürchten zu müssen.
1969 eskalierte die Lage, nachdem die katholischen Einwohner (London)Derrys auf eine protestantische Provokation mit Straßenschlachten reagierte. Die katholischen Arbeiter anderer Städte entfachten zur Unterstützung ebenfalls Unruhen. Die Lage eskalierte weiter, es kam zu Vertreibungen und Brandstiftungen und der nordirische Premier rief die britische Armee zu Hilfe.
Anfangs schlichtete diese den Konflikt durchaus neutral, aber da er ungelöst blieb blieb auch die Armee und begann nach und nach enger mit der protestantischen Regierung zusammen zu arbeiten.
Die IRA war bis dahin bedeutungslos, nach den Erfahrungen mit dem protestantischen Mob wurde der Unmut der Katholiken über deren Untätigkeit laut. Die IRA erhielt nach diesen Ereignissen bedeutenden Zulauf und begann, eine wesentliche Rolle in dem Konflikt zu spielen.
Die IRA dachte weiter und wollte die Herrschaft der Briten über Nordirland beenden. Die britische Armee ihrerseits begann, gegen katholische Paramilitärs mit zunehmender Härte vorzugehen, wodurch die IRA ihre Unterstützung in der Bevölkerung ausbauen konnte. Es gab zunehmend Tote und Verletzte. Die IRA ging zu Vergeltungsaktionen über und tötete einige britische Soldaten.
1971 heizte die britische Armee den Konflikt durch die Einführung von Internierungslagern weiter an, in denen Verdächtige ohne Prozess festgehalten wurden. In diesem Jahr forderte der Konflikt über 400 Todesopfer.
1972 konnte die IRA ihre Rekrutierungen deutlich ausweiten, nachdem britische Fallschirmjäger am Blutsonntag 13 unbewaffnete Demonstranten erschossen hatten.
1972 gab es erste Friedensgespräche. Die Briten lehnten jedoch den Rückzug der Soldaten und die Freilassung der Gefangen ab, und der Konflikt ging weiter.
Übrigens gab es auch einen Bloody Friday, diesmal war die IRA die Täterin, die 22 Bomben in Belfast legten. Dies kostete sie allerdings eine Menge Unterstützung der Bevölkerung und die Armee nahm einige de facto von der IRA kontrollierte Gebiete wieder ein.
1975 gab die IRA eine Waffenruhe bekannt, die Briten erlaubten dafür der republikanischen Partei Sinn Fein Büros in Nordirland einzurichten, in der Hoffnung, den politischen Arm der Nationalisten zu stärken. Protestantische Paramilitärs sahen die Annäherung jedoch skeptisch und begannen verstärkt, katholische Zivilisten zu ermorden. Die Morde wurden durch die IRA mit Morden an protestantischen Zivilisten beantwortet.
Da der Waffenstillstand Konflikte zwischen IRA-Splittergruppen wieder aufflammen ließ und außerdem dem britischen Geheimdienst mehr Einblick gewährte beendete die IRA ihn. 1981 kam es zu einem Hungerstreik inhaftierte Republikaner, der im Tod einiger Gefangener endete. Das erste Opfer war Bobby Sands, der damit zum oft besungenen Helden avancierte. Der Hungerstreik rief große Sympathien und Unterstützung in der Bevölkerung hervor, Sinn Fein, der politische Arm gewann an Bedeutung und bei Wahlen.
Der Friedensprozess begann, als die Regierungen Großbritanniens und Irlands sich annäherten (die autonome Regierung Nordirlands war im Verlauf des Konflikts aufgelöst und Nordirland der direkten Kontrolle Londons unterstellt worden).
In den 80ern konzentrierten sich beide paramiltärische Gruppen auf die Führung der jeweils anderen, zivile Opfer waren jetzt in der Regel unbeabsichtigt. So sollte auch der eingangs erwähnte Bombenanschlag eigentlich die gegnerische Führung treffen.
1994 verkündete die IRA eine Waffenruhe, verlangte dafür aber, dass Sinn Fein in die Friedensgespräche einbezogen würde. Als das nicht geschah kam es noch mal zu mehreren Bombenattentaten. 1998 wurde dann der Friedensprozess durch das Karfreitagsabkommen besiegelt (Ostern scheint ein wichtiges Fest für die irische Geschichte zu sein).
Seither ist der Konflikt nicht verschwunden, aber Gewalt kommt nur noch selten zum Einsatz und eskaliert nicht mehr. Die Radikalen beider Seiten sind natürlich nicht verschwunden, haben aber die Unterstützung der Bevölkerung und damit die Bedeutung verloren.
Das Karfreitagsabkommen sieht u.a. vor, dass Nordirland durch eine Volksabstimmung zur Republik Irland wechseln kann, eine Möglichkeit, die seit dem Brexit verstärkt diskutiert wird.
Fazit mit Bezug zu Gaza:
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Brutale Repression wie nach dem Osteraufstand mag zuerst wie ein Sieg aussehen, ist aber das beste Mittel um dem Gegner Unterstützung zu verschaffen
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Militante Aktionen genießen keine Unterstützung in der Bevölkerung, es sei denn sie führen zu unverhältnismäßigen Reaktionen der Gegenseite.
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Vordergründig spielt Religion die entscheidende Rolle in dem Konflikt, aber dieser Eindruck entsteht, weil die Gruppen, die durch die Religion getrennt sind sich auch anhand von handfesten Interessen (Privilegien bzw. Benachteiligung) unterscheiden.
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Radikale Gruppen leben vom Konflikt, ohne ihn verlieren sie an Boden. Die religiöse Komponente sorgt für Opferbereitschaft und Fanatismus, Trennung und Hass lassen sich darüber schüren.
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Militärisch lässt sich ein solcher Konflikt nicht lösen. Auch klare militärische Siege wie nach dem Osteraufstand können nicht staatliche Akteure langfristig nicht beseitigen, im Gegenteil. Staaten kann man militärisch vernichtend schlagen, aber eine Terrororganisation oder Guerilla ist wie eine Hydra: Schlägt man einen Kopf ab wachsen zwei neue nach.
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Wäre es eine gute Lösung des Problems, eine Ursachenbekämpfung, gewesen, entweder alle Protestanten „zurück“ nach England zu schicken oder alle Katholiken aus Nordirland in die Republik Irland umzusiedeln? Natürlich nicht. Was auch immer an vergangenem Unrecht zu dieser Katastrophe geführt hat kann nicht durch neues Unrecht gut gemacht werden. Die beteiligten Akteure waren in Irland geboren, sie alle sahen es mit gutem Recht als ihre Heimat an.
Ein Modus vivendi, der die Gewalt beendet lässt sich durch Gespräche, Gerechtigkeit und Entschädigung erreichen. Letztere darf natürlich nicht zu neuen Vertreibungen führen. -
Menschen sind zu unsäglicher Gewalt und Gräueltaten fähig, diese entstehen aber nicht aus dem Nichts. Die Geschichte beginnt nicht am Tag eines Attentats. Auch wenn nichts eine grauenhafte Aktion wie die am 7. Oktober rechtfertigen kann findet sie nicht im luftleeren Raum statt, kommt nicht wirklich überraschend für die, die sehen wollten. Und nur wer verstehen will, Schmerz zulässt und anerkennt und auf Rache verzichtet kann die Ursachen verstehen und beseitigen. Wer die Ursachen, die beiderseitigen Traumata und die Würde der anderen ignoriert wird nur Gewalt und Vernichtung auf beiden Seiten erhalten.
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Für welche Seiten man Sympathien hegt hängt stark von Wissen und Perspektive ab. Ich (Jahrgang 1976) kann mich erinnern, als Kind immer wieder von Anschlägen der IRA gehört zu haben. Die IRA war für mich ganz klar die Terrororganisation in diesem Konflikt (was sie auch war), die Protestanten die Opfer. Die Protestanten kamen als friedliche, wenn auch provokante Märsche des Oranierordens vor, was sollte Gewalt gegen sie rechtfertigen? Warum aber der englische Staat so hartnäckig an Nordirland festhielt hab ich auch nicht verstanden. Dass es die UVF gab, die den Konflikt erst so richtig angeheizt hatte, habe ich erst viel später erfahren, als ich mich für Irland zu interessieren begann. Diese Geschichte lehrt doch, dass man mit eindeutigen (Ver-)urteilungen sehr vorsichtig sein muss, sie könnten schlicht so eindeutig ausfallen weil man zu wenig weiß.
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Die UFV war eine Terrororganisation. Das hat demokratische staatliche Akteure wie die Regionalregierung, das englische Militär und die Polizei nicht daran gehindert, sich tendenziell auf ihre Seite zu schlagen. Ganz ähnlich wie es heute oft mit den militanten israelischen Siedlern im Westjordanland der Fall ist. Und das wird von den Opfern sehr wohl registriert.
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Soldaten können einen beschwichtigenden Einfluss haben, wenn sie sich so neutral wie möglich verhalten. Geben sie der Versuchung nach, Partei zu ergreifen, heizen sie die Spirale der Gewalt nur an.
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die brutale Bombardierung und das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza wird Terrororganisationen wie Hamas die Rekrutierung enorm erleichtern, und zwar vermutlich weit über Gaza hinaus.
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Tod und Zerstörung werden nicht Hamas zugerechnet werden. Beim Osteraufstand, der eher in einer Zeit der Zugeständnisse an die Katholiken stattfand, wurden all die Toten und die Zerstörung England angelastet, obwohl es diese zweifellos ohne den Aufstand nicht gegeben hätte.
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Vernünftige, gemäßigte Stimmen haben einen schweren Stand. Die verfeindeten Seiten brauchen sich gegenseitig, aber Friedensaktivisten braucht von den Mächtigen niemand. Das ist heute für israelische Menschenrechtsorganisationen wie Bet’selem nicht anders als damals für die Bürgerrechtsbewegung.
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Mehrheitsentscheidungen bergen ein großes Potential für Konflikte. David Graeber hat darauf hingewiesen, dass sie nur vorkommen wo sie im Zweifel mit Gewalt durchgesetzt werden können. Die Unterlegenen versuchen oft, die Entscheidung zu untergraben, ggf. auch mit Gewalt.
Irland hatte eine klare katholische Mehrheit, die Angst der Protestanten, in einem katholischen, demokratischen Irland untergebuttert zu werden (zumal sie traditionell mit den Besatzern assoziiert wurden) war nicht aus der Luft gegriffen. Ulster hingegen hatte eine protestantische Mehrheit, aber eben nur, wenn es für sich blieb. So wohl Protestanten als auch Katholiken suchten Schutz in der staatlichen Konstellation, die es ihnen erlaubte, über die jeweils anderen zu herrschen.
Neben der 2-Staaten Lösung, die Israel ja nach Kräften in den letzten Jahrzehnten untergraben hat, gibt es ja noch die 1-Staaten-Lösung. Die Schaffung eines demokratischen Israel/Palästina auf dem gesamten Territorium mit gleichen Rechten für alle. (Dies ist übrigens das, was die meisten im Sinn haben die den Slogan „from the river…“ benutzen, wenn es auch sicher Leute gibt, die ihn anders verwenden.) Das Problem daran ist aber, dass die Juden dann wohl bald die Minderheit in Israel wären, und wenn die Mehrheit nahezu grenzenlos über die Minderheit bestimmen kann ist das natürlich ein Problem. Das extrem katholische Irland hat übrigens mit Hilfe eines Bürgerrates katholische NoGos wie Abtreibung und Homo-Ehe eingeführt. Es scheint also prinzipiell möglich, friedlichere Entscheidungsverfahren zu kreiren.