Fortsetzung der Diskussion von Corona-Pandemie - ein kapitales Versagen unserer Regierung?:
ich habe nicht nur ein Buch über Ökonomie gelesen. Es gibt in der Ökonomie eine Vielzahl an Modellen, von Marx über Keynes bis Mises und einiges mehr. Wirklich von Bedeutung ist derzeit aber nur die Neoklassik. Das ist das, was jeder Ökonomie-Student in und auswendig können muss, wenn er oder sie einen Abschluss erwerben will. Es gibt etliche Ökonomen, die Kritik an diesem Modell üben, massive Kritik, die soweit geht zu behaupten, dass es auf nicht tragfähigen Annahmen gebaut ist. Aber die gehören eben nicht zum Mainstream.
Kern der neoliberalen Auslegung bzw. der Chicagoer Schule ist die These, dass sich der Markt von alleine zum Wohle aller reguliert, wenn man ihn nur in Ruhe lässt. Eine These, die auf (einen vermutlich missinterpretierten) Adam Smith zurückgeht. Das ist der Erfinder der „unsichtbaren Hand“, die den Markt angeblich so regulieren soll, dass jeder durch Verfolgung seines Eigeninteresses das Allgemeinwohl fördern würde. Aber was ist das anderes als ein Glaubenssatz? Ich kenne keinen Beweis für diese These, aber einige, die dagegen sprechen.
Die Ökonomielehre ist absolut einseitig ausgerichtet. Das behaupte nicht nur ich, sondern auch das https://www.plurale-oekonomik.de/netzwerk-plurale-oekonomik/
Sicher regelt sich der Markt irgendwie selbst, aber ohne irgendeine Rücksicht auf die Belange der Menschen oder der Umwelt. Dieser sich selbst regulierende Markt wird aber als ein Wert an sich gesetzt und dann wird weiter argumentiert, dass der Wissenschaftler „neutraler Beobachter“ zu sein habe, der sich jeglicher Wertung enthalten muss. Die Vorstellung, dass der Markt alles zum besten regelt ist aber zutiefst normativ, es ist eine ethische Bewertung, die den Markt als Grundprinzip der Organisation der Wirtschaft und Gesellschaft festsetzt. Wie absurd ist die Forderung, dass der Wissenschaftler neutraler Beobachter sein soll, wenn die Grundlage schon so wenig neutral ist?
Ein sich selbst regulierender Markt wird quasi zu einem Naturgesetz erhoben, und damit wird die Ökonomie zu einer Naturwissenschaft umdeklariert. Das ist sie ganz sicher nicht, sie ist eine Sozialwissenschaft. Und mit dem als Prinzip gesetzten Markt geht sie eher in Richtung Theologie als Richtung Physik.
Die Neoklassik hat einige Schwächen. Z.B. haben die so ausgebildeten Ökonomen die Finanzkrise 2008 nicht kommen sehen, während etliche „Ketzer“ unter den Ökonomen sehr wohl damit gerechnet haben. Aber es ist eben der Lehrstoff, den alle lernen müssen.
Ich habe mich ja vor allem mit dem Geld beschäftigt. Geld ist für die Neoklassik ein neutrales Tauschmittel. Sie gehen teilweise so weit, dass sie vom „Schleier des Geldes“ sprechen, der die Sicht auf die (Tausch-)Wirtschaft verdeckt. Der hochverehrte Adam Smith ging z.B. davon aus, dass Geld eine Ware sei (wie übrigens auch Karl Marx). Aber das stimmt nicht oder wenn dann nur sehr begrenzt. Geld hat viele Seiten, es ist schwer zu fassen in seinen Eigenschaften, aber eines ist es ganz sicher nicht: Eine Ware wie jede andere. Die Standarderklärung der Ökonomen, wie Geld entstanden sein soll, aus einer hypothetischen ursprünglichen Tauschwirtschaft ist z.B. komplett unbewiesen, dafür gibt es etliche andere Hypothesen über seine Entstehung, die viel besser belegt sind, von Anthropologen und Archäologen. Interdisziplinäres Arbeiten ist allerdings keine Spezialität der Ökonomie.
Die Politik der Privatisierungen, die Politik, alles den Marktgesetzen zu unterwerfen ist keine Vernachlässigung der Aufgaben der Regierung sondern folgt aus der Ideologie des freien Marktes.